Warum verhalten sich Menschen diskriminierend?

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Subjektive Funktionalität von Diskriminierung und Stärkung von Handlungsfähigkeit als Ansätze für Prävention und Intervention

Extended Version mit mehr Beispielen, Theorie, Grafiken und Hypothesen[1]

Katharina Debus[2]

Text als pdf zum Download: Debus Warum verhalten sich Menschen diskriminierend

Zitiervorschlag: Debus, Katharina (2025): Warum verhalten sich Menschen diskriminierend? Subjektive Funktionalität von Diskriminierung und Stärkung von Handlungsfähigkeit als Ansätze für Prävention und Intervention. Extended Version mit mehr Beispielen, Theorie, Grafiken und Hypothesen. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://katharina-debus.de/material/texte/subjektive_funktionalitat.

1 Einleitung

Warum verhalten sich Menschen diskriminierend und wofür ist es gut, sich aus Sicht diskriminierungskritischer Pädagogik[3] mit dieser Frage zu beschäftigen?

Ich stelle in diesem Artikel mit Bezügen auf die Kritische Psychologie einen Ansatz vor, der davon ausgeht, dass Einstellungen und Verhaltensweisen in der Regel einem subjektiven Sinn folgen, also subjektiv funktional sind. Dies gilt auch für selbst- und fremdschädigende Verhaltensweisen, also u.a. auch für diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten sowie internalisierte Unterdrückung. Diese Verhaltensweisen und die ihnen zugrunde liegenden Einstellungen sind also nicht (nur) Folge mangelnden Wissens, schlechter Erziehung, persönlicher Dispositionen oder Böswilligkeit. Vieles lässt sich im Übrigen auf Fragen von Gewalt(prävention) übertragen.

Präventionskonzepte und andere pädagogische Ansätze bauen sinnvollerweise auf einer Analyse der Ursachen von Problemen wie auch von Resilienzen auf. Wenn Menschen in ihrer Wahrnehmung gute Gründe für ihr Denken und Handeln haben, werden sie dies meist nicht verändern, nur weil ihnen Bildungsarbeiter*innen erklären, dass es falsch oder ungerecht ist. Wenn Prävention problematisch handelnde Menschen erreichen will, muss sie u.a. an den subjektiven Sinnhaftigkeiten der problematisierten Verhaltensweisen und Einstellungen ansetzen, um Alternativen zu erarbeiten und einer Hinwendung zu diskriminierenden Einstellungen, Handlungsweisen, Lebenswelten[4] und Organisationen die Attraktivität zu nehmen. Potenziale der Beschäftigung mit möglichen Gründen diskriminierenden Handelns für die diskriminierungskritische Bildungsarbeit sind u.a.:

  • verbesserte Analysefähigkeit, um diskriminierendes Denken und Handeln sowie Abwehr gegenüber diskriminierungskritischen Bildungsangeboten besser einordnen zu können und auf dieser Grundlage das eigene Vorgehen weiterzuentwickeln.
  • konzeptionelle Anregungen für die Primärprävention: Welche Fähigkeiten, Erfahrungen, Reflexionen etc. können wir fördern, um diskriminierende Denk- und Verhaltensangebote weniger attraktiv zu machen?
  • konzeptionelle Anregungen für Interventionen gegen diskriminierende Aussagen und Verhaltensweisen, u.a.:
    • Reflexion von Grenzen der Erreichbarkeit: Wen kann ich in welchem Setting potenziell erreichen?
    • in der Arbeit mit potenziell erreichbaren Personen anknüpfungsfähige Anliegen finden, zu denen wir ihnen alternative Angebote machen können, auch als Grundlage für Beziehungsarbeit

Meine Intention, diesen Ansatz vorzustellen und zu nutzen, ist kein moralischer Appell an Empathie mit (insbesondere stark) diskriminierenden Menschen. Mein primäres Anliegen ist Wirksamkeit von Antidiskriminierungsarbeit. Wir leben derzeit in einer Welt, in der diskriminierungskritische Ansätze immer stärker an den Rand gedrängt werden, und wir brauchen meines Erachtens eine Perspektive, mehr Menschen für emanzipatorische Ziele zu gewinnen. Das wird kaum gelingen, wenn wir v.a. moralisch-politische Schuldigkeit betonen. Damit sind nur wenige Menschen erreichbar und von denen hält ein noch geringerer Anteil eine v.a. konfrontative Praxis langfristig durch. Um mehr Menschen zu gewinnen, brauchen wir also m.E. Angebote, bei denen diese sich in ihren Anliegen gesehen fühlen und die ihnen Hoffnung auf z.B. ein besseres Miteinander machen (vgl. zur Wichtigkeit utopischer Momente Debus 2015b) – aber ohne dabei eine klare Haltung gegen Diskriminierung aufzugeben. Ein solches besseres Miteinander stärkt darüber hinaus auch die Engagierten, ermöglicht nachhaltigeres Engagement und passt besser zu emanzipatorischen Zielen als autoritärere Vorgehensweisen (vgl. Kasten zu emanzipatorischer Bildung in Debus/Saadi i.V./2025b). Es sprechen also sowohl Wirksamkeitserwägungen als auch Prinzipien emanzipatorischer Bildung für ein solches Vorgehen.

Aber: In mehreren Projekten bei Dissens haben wir uns mit Lehren aus Fehlern der Arbeit mit rechten Jugendlichen in den 1990er Jahren beschäftigt und herausgearbeitet, dass Rechtsextremismus- wie auch Diskriminierungsprävention eine Balance aus drei Standbeinen anstreben sollte, die auch arbeitsteilig (innerhalb eines Angebots oder Trägers oder zwischen verschiedenen Angeboten oder Trägern innerhalb eines Sozialraums) bearbeitet werden können (vgl. vertiefend Debus 2014: 94f., Hechler/Stuve 2015: 47ff., Klemm/Wittenzellner i.V./2025):

  • Prävention (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention)
  • Empowerment, Unterstützung und Schutz (potenzieller) Betroffener
  • Förderung von Alternativen, u.a.:
    • Stärkung diskriminierungskritischer Menschen
    • Förderung nicht-diskriminierender und diskriminierungskritischer[5] [Sub-]Kulturen
    • Förderung von Räumen u.a. zur nicht-diskriminierenden Freizeitgestaltung und zur Vernetzung kritischer Menschen
    • Förderung von Denk- und Verhaltensoptionen sowie Kompetenzen, um Bedürfnisse und Wünsche nicht-diskriminierend verfolgen und diskriminierungskritisch intervenieren zu können (s.u.)

Diese drei Standbeine überschneiden sich an vielen Stellen bzgl. ihrer Übersetzung in pädagogische Ansätze, aber wir sollten dennoch bewusst mit den unterschiedlichen Intentionen und Schwerpunktsetzungen und den manchmal zwischen ihnen entstehenden Spannungen umgehen. Und sie sollten gerahmt sein von einer Veränderung gesellschaftlicher und institutioneller Strukturen, die diskriminierende Verhaltensangebote attraktiv machen.

Wie die Grafik verdeutlicht, ist der hier vorgestellte Ansatz subjektiver Funktionalität v.a. in den Bereichen Prävention und Förderung von Alternativen verortet, auch wenn er ebenfalls Impulse für Empowerment bereithält. Bevor wir also tiefer in Beweggründe diskriminierend handelnder Menschen einsteigen, sei darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, bei der pädagogischen Umsetzung die Perspektiven und Bedarfe (potenziell) Betroffener diskriminierenden Handelns sowie diskriminierungskritischer Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Über der Grafik steht: 3 bzw. 6 Standbeine von Prävention & Intervention gegen Diskriminierung  Rechts oben steht: Lehren aus Fehlern der Rechtsextre-mismuspräventionder 1990er Jahre  Darunter sind drei sich jeweils überlappende Kästen mit abgerundeten Ecken:  Links ist ein gelber Kasten, in dem steht: Empowerment, Unterstützung & Schutz (möglicher) Betroffener  Rechts ist ein blauer Kasten, in dem steht: Erarbeitung & Förderung von Alternativen (diskriminierungskritisch Engagierte, [Sub-]Kulturen, Räume, Verhaltensweisen)  Mittig unter den beiden Kasten und mit ihnen überlappend ist ein rosa Kasten, in dem steht: Präventionsarbeit mit (potenziell) diskriminierenden Menschen bzw. Täter*innen:  Primärprävention: vor einer Festigung entsprechender Verhaltensweisen  Sekundärprävention: im Hinwendungsprozess  Tertiärprävention: Ausstiegsarbeit  Um diese drei Kästen herum ist ein türkises Oval, in dem steht: Veränderung von Strukturen.  Rechts unten ist ein lila Oval mit großer Überlappung mit dem Kasten zu Alternativen und dem Kasten zu Prävention und kleiner Überlappung mit dem Kasten zu Empowerment etc. In diesem Oval steht: Ansatz subjektiver Funktionalität.  Mittig in Überlappung mit allem Kästen und dem lila Oval ist ein grünes Oval. Darin steht: anti- & nicht-diskriminierende bzw. emanzipatorische Handlungsfähigkeit erweitern.  Ganz unten steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

Der ebenfalls vorgestellte Ansatz der Stärkung erweiterter Handlungsfähigkeit wiederum ist in allen drei Standbeinen verortet und kann auch zur Veränderung von Strukturen beitragen.

Im Folgenden beschreibe ich zur Stärkung von Analysefähigkeit knapp Ansätze der Kritischen Psychologie (2), die meine anschließend beschriebenen Weiterentwicklungen inspiriert haben (3). Daraus leite ich Anregungen für die Pädagogik ab (4) und schließe mit Hypothesen zu subjektiven Funktionalitäten diskriminierender Denk- und Verhaltensweisen, jeweils ergänzt durch erste mögliche Ansätze der Bearbeitung in Kurz- und Langzeitpädagogik (5). Das Kapitel mit den Hypothesen eignet sich auch dazu, die Themen der Hypothesen zu überfliegen und auszugsweise diejenigen zu vertiefen, die jeweils interessant für aktuelle Praxisfragen klingen.

Begriffserklärungen

Subjekt

Im Folgenden ist öfter vom Subjekt die Rede. Diese Begriffswahl drückt eine Gleichzeitigkeit aus: Einerseits sollen damit Personen als handelnde Subjekte mit eigener Perspektive von passiven Objekten abgegrenzt werden. Andererseits bedeuten die Begriffe sujet (franz.) oder subject (englisch) gleichzeitig auch Untertan*in. Sehr kurz gefasst, drückt der Begriff die Gleichzeitigkeit aus, dass Menschen Individuen mit Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sind, sie aber ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten unter gesellschaftlichen Bedingungen und in Auseinandersetzung mit diesen entwickeln (ein Prozess, der je nach theoretischem Bezug u.a. als Sozialisation, Subjektivierung oder Subjektivation bezeichnet wird). Damit schreiben sich diese gesellschaftlichen Bedingungen untrennbar, aber in komplexer und individuell unterschiedlicher Weise in die Persönlichkeit der Individuen ein, ohne dass diese dadurch komplett determiniert, also passiv fremdbestimmt werden. Sie sind in aller Verstricktheit auch handlungsfähig und gestalten die Bedingungen mit.

Deutungen bzw. Deutungsangebote

Die Kritische Psychologie spricht oft von Deutungen und Deutungsangeboten. Gemeint sind Arten, wie Menschen Erfahrungen interpretieren.

Wenn z.B. ein junger Mann sich heterosexuellen Sex wünscht und es als schmerzhaft empfindet, dass dieser Wunsch unerfüllt bleibt, kann er das sehr unterschiedlich deuten. Er kann denken, dass

  • er noch nicht die richtige(n) Frau(en) gefunden hat.
  • er noch besser herausfinden muss, wie er attraktive sexuelle Angebote machen kann.
  • er sich besser an gesellschaftlich weit verbreitete Attraktivitätsnormen anpassen muss.
  • vielleicht eine Psychotherapie helfen könnte herauszufinden, ob es psychische Gründe gibt, die zu seiner sexuellen Frustration beitragen, und diese zu bearbeiten.
  • es ein Ergebnis des Zusammenspiels von Kapitalismus und Patriarchat ist, dass es in vielen Lebenswelten Männern mit einem bestimmten Äußeren, beruflichem Erfolg bzw. mehr Geld leichter fällt, als attraktiv zu gelten.
  • Oder er kann der Incel-Ideologie folgen, dass, verkürzt gesagt, Frauen in ihrer Partnerwahl ungerecht und von der Natur bevorzugt seien (‚female choice‘-Argument) und Feminismus zur Unterdrückung von als weniger attraktiv geltenden Männern beitrage und daher Gewalt von Männern gegen Frauen legitim sei (vertiefend: Kailouli/Kracher o.J., Kracher 2020, Potter 2020, Hechler 2021).

All dies sind mögliche Deutungen seiner schmerzhaften Erfahrung, aus denen je unterschiedliche Handlungsstrategien folgen – im letzteren Falle auch diskriminierende bzw. gewalttätige Strategien bzw. deren Legitimierung.

Diskriminierende Diskurse setzen oft bei herausfordernden Erfahrungen der Subjekte an und machen ihnen dafür diskriminierende bzw. (strukturell, institutionell oder interpersonell) gewalttätige Deutungs- und Handlungsangebote.

Umgekehrt können diskriminierungskritische Ansätze solche Erfahrungen ernstnehmen und nicht-diskriminierende, grenzachtende und diskriminierungskritische Deutungs- und Handlungsangebote machen, oder, um eine Querverbindung zu anderen theoretischen Bezügen aufzumachen, Reframings anzubieten.

2 Kritische Psychologie

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Einblick in Entwicklungen der Kritischen Psychologie, die meinen in Kapitel 2 beschriebenen Zugang inspiriert haben.[6]

Die Kritische Psychologie[7] legt mit Vertreter*innen wie Klaus Holzkamp oder Ute Osterkamp seit den späten 1960er Jahren ihren Fokus auf die Einbettung individueller Verhaltensweisen in kapitalistische Verhältnisse. Sie hat das Konzept der subjektiven Funktionalität von Verhalten in die Diskussion über Diskriminierung eingebracht. Dabei geht sie davon aus, dass Menschen im Kapitalismus Ohnmachtserfahrungen machen, dass ihre Handlungsfähigkeit bedroht wird durch gesellschaftliche Bedingungen, die nicht verhandelbar sind, sondern Anpassung und Unterordnung erfordern und von Konkurrenz geprägt sind (vgl. u.a. Markard 2009: 185 und 202f.).

Sie wirft dabei einen kritischen Blick auf die Wirksamkeit diskriminierungskritischer Vorgehensweisen, wenn diese strukturelle Ursachen außer Acht lassen. So gehe es, so Morus Markard unter Bezug auf Max Horkheimer, vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Verortung in kapitalistischen Verhältnissen nicht nur darum

„ ‚irgendwelche Missstände abzustellen, diese erscheinen [dem kritischen Denken] vielmehr als notwendig mit der ganzen Einrichtung des Gesellschaftsbaus verknüpft.‘[8]Als ‚Missstände‘ dürften z.B. Gewalttätigkeiten […] gegen Menschen nicht ‚weißer‘ Hautfarbe […] gelten […]. Die (scheinbar) einfachste und nächstliegende ‚Lösung‘ wäre, diese Missstände den beobachtbaren Akteuren ([…] ‚Rassisten‘ […]) unmittelbar anzulasten und gegen diese dann Maßnahmen zu ergreifen; das mag im einzelnen Fall auch unvermeidlich sein – die Frage ist aber inwieweit damit die entsprechenden Missstände tatsächlich abzustellen sind oder sich immer wieder reproduzieren. […] Ist Konkurrenz nicht ein Prinzip, das das Ruinieren anderer impliziert? Sind die Taten von ‚Rassisten‘ – auch – Ausdruck gesellschaftlicher Zustände, in denen Menschen vor allem unter dem Aspekt ihrer ökonomischen Verwertbarkeit klassifiziert und unterschiedlich behandelt werden, in denen ‚Würde‘ durchaus antastbar, eher also ein Konjunktiv als unhintergehbares Prinzip ist? […] Diese Frage zu stellen, bedeutet nicht, sie einfach mit ‚ja‘ zu beantworten, wohl aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der illusionären Vorstellung, die erwähnten Missstände seien einfach abzustellen, ohne ihrer Eingebettetheit in der gesellschaftlichen Struktur nachzugehen. Das heißt nicht, dass im Rahmen dieser gesellschaftlichen Struktur ‚nichts zu machen‘ sei, wohl aber, dass ohne deren Einbeziehung die Grundlage der Missstände unangetastet bleibt.“
(Markard 2009: 15f., Hervorhebungen im Original)

Unter kapitalistischen Bedingungen haben der Kritischen Psychologie zufolge die Subjekte zwei Möglichkeiten (doppelte Möglichkeit) im Umgang mit gesellschaftlich (mit-) verursachten Problemen: Entweder versuchen sie, sich im Rahmen der vorgegebenen Verhältnisse zu arrangieren bzw. ihre Interessen eher konkurrenzhaft gegen Gleichrangige oder Schwächere durchzusetzen. Dies nennt Klaus Holzkamp restriktive oder eingeschränkte Handlungsfähigkeit bzw. eingeschränkten Handlungsraum (vgl. u.a. Holzkamp 1987: 18, Holzkamp 1990: passim, Markard 2009: 187f, Debus 2014: 69f.). Sich in diesem eingeschränkten Rahmen zu bewegen, reduziert das Risiko von Sanktionen durch Mächtigere (z.B. Arbeitgeber*innen, Polizei, Justiz etc.). In der Regel, so Vertreter*innen der Kritischen Psychologie, ist ein solches Verhalten aber selbstschädigend (Selbstfeindschaft), da es an den eigentlichen Ursachen der Ohnmachtserfahrungen nichts ändert, sondern zu deren Erhalt beiträgt (vgl. u.a. Osterkamp 2000: 61-65 sowie 72f., zusammenfassend Markard 2009: 193ff., kritisch zu dieser These: Markard 2009: 200, Debus 2014: 70).

Als Alternative wird die verallgemeinerte oder erweiterte Handlungsfähigkeit bzw. der erweiterte Handlungsraum beschrieben (vgl. Holzkamp 1990, Markard 2009: 187f., Debus 2014: 68f). Hier begegnet das Subjekt den gesellschaftlichen Verhältnissen, die die Handlungsfähigkeit bedrohen, mit Veränderungsbemühungen, adressiert also die Ursachen gesellschaftlich (mit-)verursachter Probleme. Es riskiert dabei zu scheitern oder durch Mächtigere sanktioniert zu werden. Im Gegenzug besteht so aber die Möglichkeit, an den Ursachen der Ohnmachtserfahrungen etwas zu verändern und die eigene Handlungsfähigkeit nachhaltig zu erweitern.

Die Kritische Psychologie (wie auch verschiedene Ansätze der Psychotherapie[9]) geht dabei von einem grundsätzlich kompetenten Subjekt aus, also davon, dass Menschen begründet handeln (vgl. Markard 2009: 188f.). Ihr Handeln und Denken hat, so betont die Kritische Psychologie, eine Funktion über mangelnde Aufklärung, persönliche Böswilligkeit, schlechte Erziehung oder angeborene Dispositionen hinaus. Dies betrifft auch fremdschädigendes (also u.a. diskriminierendes und gewalttätiges) sowie selbstschädigendes Handeln. Daher ist es (nicht nur) für Prävention wichtig, sich mit der je subjektiven Funktionalität dieses Handelns auseinanderzusetzen, also mit den guten Gründen, die dem Handeln aus (bewusster oder unbewusster) Sicht des Subjekts zugrunde liegen. Häufig ist laut Kritischer Psychologie diese Funktionalität im Muster eingeschränkter Handlungsfähigkeit zu suchen, also in dem Bemühen um Handlungsfähigkeit unter der Bedingung fremdbestimmter und ohnmächtig-machender gesellschaftlicher Anforderungen und Beschränkungen.

Es gilt also, die (aus subjektiver Sicht: guten) Gründe für diskriminierendes Handeln zu verstehen, wenn wir die entsprechend handelnden Menschen erreichen wollen. Hierzu liegen verschiedene Arbeiten in Bezug auf Rassismus (u.a. Kalpaka/Räthzel 1990, 2000, Kalpaka et al. 2017) und Rechtsextremismus (Reimer 2011, Debus 2014, Debus/Laumann 2014) und Sexismus bzw. Antifeminismus (Debus 2015a, 2024) vor.

Die Kritische Psychologie entwickelt aus ihrem emanzipatorischen Menschenbild auch einen lerntheoretischen Ansatz. Darin differenziert sie zwischen einerseits defensivem Lernen, das nur darauf ausgerichtet ist, fremdgesteuerte Anforderungen zu erfüllen (zusammenfassend vgl. Markard 2009: 252–262). Defensives Lernen wird durch Angst vor Sanktionen strukturiert (der Begriff beschreibt, dass gelernt wird, um sich vor Strafen zu schützen), es wird keine Relevanz des Lerngegenstands für das eigene Leben erkannt und das Gelernte wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht auf den eigenen Alltag angewandt und wieder vergessen, sobald die Bedrohung (z.B. eine Prüfung) endet.

Nur expansives Lernen kann Holzkamp zufolge eine Veränderung der Bedingungen im Sinne erweiterter Handlungsfähigkeit ermöglichen, und damit die Gründe aufgreifen, die diskriminierende Einstellungen und Verhaltensweise erst funktional werden lassen. Dies wird aber, so Holzkamp nur möglich, wenn die Individuen zu Subjekten ihres Lernens werden, also erkennen, dass es ihnen eine Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit verspricht, sich mit einem bestimmten Gegenstand zu beschäftigen, sich also ihren eigenen Lerngegenstand suchen (zusammenfassend vgl. ebd., zur Anwendung auf u.a. feministische Lernprozesse vgl. Haug 2003).

3 Weiterentwicklungen

Mit Perspektive auf diskriminierungskritische und emanzipatorische Pädagogik bzw. Bildung greife ich auf die beschriebenen Ansätze zurück, formuliere sie zum Teil weiter aus (auch grafisch) und erweitere sie um einige inhaltliche Aspekte.[10]

3.1 Interaktives Verhältnis von Wirtschaftsform und verschiedenen Ungleichheitsverhältnissen

Die in den 1960er Jahren entstandene Kritische Psychologie geht, zumindest in den grundlegenden Arbeiten, nach meinem Verständnis von einem Hauptwiderspruch Kapitalismus aus, auf dem Ungleichheits-Ideologien wie Rassismus oder Sexismus aufsatteln, die eine wichtige Funktion zur Absicherung kapitalistischer Wirtschaftsweisen haben (z.B. durch Umlenkung von Unzufriedenheiten mit den eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen in rassistische Konkurrenz).

Ich gehe von einem komplexeren interaktiven Verhältnis zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen wie Geschlechterverhältnissen, Rassismen, Antisemitismus, Klassismus bzw. Hierarchisierungen nach sozialem Status, Ableismen, Adultismus, Ageismus, Bodyismus/Lookismus und derzeit auch deutschen West-Ost-Hierarchien[11] mit der historisch spezifischen Wirtschaftsweise (in unserem Falle: neoliberalem Kapitalismus) und weiteren Strukturen wie Mensch-Natur-Verhältnissen (zurzeit besonders markant in der Klimakrise), internationalen (z.B. europäischen Nord-Süd- und West-Ost-Hierarchien) und globalen Verhältnissen (u.a. Postkolonialismus) etc. aus.

3.2 Gesellschaft und Subjekt

All diese miteinander verwobenen und interagierenden Verhältnisse strukturieren die Lebens- und Interaktionsbedingungen der Subjekte – auf einer materiell-ökonomischen Ebene, auf einer institutionell-rechtlichen Ebene (mit ‚institutionell‘ meine ich hier Funktionsweisen von Organisationen wie z.B. Schulen, Unternehmen, Geflüchteten-Heimen etc.), und auf einer diskursiv-ideologisch-kulturellen Ebene (z.B. Normalitätsannahmen, Bilder über verschiedene Menschengruppen, Sprache, Religion, Wahrheitsannahmen, Un-/Sichtbarkeiten, Un-/Denkbarkeiten, Tabuisierungen etc.) (vgl. auch Debus i.V./2025).

Aus all diesen Bedingungen entstehen Anforderungen an die Subjekte, wie sie sein und wie sie sich verhalten sollen für materielle Absicherung, Sicherheit, Respekt, Anerkennung und Bindung etc. All diese Anforderungen sind für die meisten Menschen nicht erfüllbar, sondern resultieren in Überforderungen und Problemen (für ausführlichere Beispiele zu verschiedenen Aspekten dieses Absatzes vgl. Debus 2014).

Diese strukturellen Bedingungen, An- und Überforderungen und Probleme bleiben den Subjekten nicht äußerlich, sondern wirken sich in Sozialisationsprozessen auch auf ihre Persönlichkeitsentwicklung aus, sind in Form von Ressourcen und Begrenzungen Teil ihrer persönlichen Leben und beeinflussen ihre Weltverständnisse, Zugänge zu verschiedenen Optionen der Lebensgestaltung, Selbstverständnisse und Verhältnisse zu anderen sowie ihre materiellen Lebensbedingungen und Möglichkeiten der Partizipation (vgl. auch Debus i.V./2025).

Allerdings geschieht dies nicht in einfacher Fremdbestimmtheit, sondern die Subjekte interagieren mit den Bedingungen, bringen ihre individual-biografischen Erfahrungen (z.B. familiäre Erfahrungen oder Erfahrungen im Sozialraum) und kognitiv-emotional-körperlichen Dispositionen ein, und gestalten ihren Zugang zu Ressourcen und ihren Umgang mit Begrenzungen ebenso mit wie die gesellschaftlichen Bedingungen. Allerdings wird die Gestaltungsfähigkeit der einzelnen dabei einerseits zahlenmäßig und andererseits abhängig von ihrem gesellschaftlichen Status begrenzt.

Die folgende Grafik soll das beschriebene Verhältnis zwischen Subjekt und Gesellschaft grob vereinfacht verdeutlichen.

Über der Grafik steht Subjekt und Gesellschaft.  Die Grafik ist relativ komplex und alle Inhalte werden auch im Text erklärt. Spätere Grafiken, deren Inhalte ebenfalls im Text erklärt werden, bauen auf dieser Grafik auf.  In der Grafik stehen sich zwei Ovale gegenüber, in denen jeweils verschiedene Kästen durch Pfeile verbunden werden. Auch zwischen den Ovalen werden Kästen aus dem einen und dem anderen Oval mit Pfeilen verbunden.  Unten im linken hellblauen Oval steht der Titel: gesellschaftliche Ebene.  Unten im rechten hellgelben Oval steht der Titel: subjektive Ebene.  Im linken hellblauen Oval mit dem Titel ‚gesellschaftliche Ebene‘ befinden sich vier dunkelblaue Kästen:  Im oberen Kasten steht: materiell-ökonomische Bedingungen.  Im linken Kasten steht: institutionell-rechtliche Bedingungen.  Im unteren Kasten steht: diskursiv-ideologisch-kulturelle Bedingungen.  Von allen drei Kästen zeigen grüne Pfeile auf einen Kasten in der Mitte rechts. In dem steht: Anforderungen an die, Überforderungen & Probleme der Subjekte.  Die Bedingungen verursachen also Anforderungen, Überforderungen und Probleme der Individuen.  Im rechten hellgelben Oval mit dem Titel ‚subjektive Ebene‘ befinden sich vier dunkelgelbe Kästen.  Im Kasten oben links steht: materiell-ökonomische Ressourcen & Begrenzungen.  Im Kasten oben rechts steht: institutionell-rechtliche Ressourcen & Begrenzungen.  Im Kasten unten steht: diskursiv-ideologisch-kulturelle Ressourcen & Begrenzungen.  Diese drei Kästen sind mit Pfeilen, die in beide Richtungen weisen, verbunden mit dem Kasten in der Mitte. In dem steht: Individuum/Subjekt.  In diesem Kasten ‚Individuum/Subjekt‘ befinden sich zwei kleinere ockerfarbene Kästen.  Im rechten ockerfarbenen Kasten steht: Wünsche und Bedürfnisse.  Im linken ockerfarbenen Kasten steht: Einstellungen & Verhaltensweisen.  Die Wünsche, Bedürfnisse, Einstellungen und Verhaltensweisen des Individuums stehen also in Wechselwirkung mit seinen Ressourcen und Begrenzungen.  Es gibt mehrere graue Pfeile, die von einem blauen, gesellschaftlichen Kasten zu einem gelben, subjektiven Kasten zeigen:  von materiell-ökonomische Bedingungen zu materiell-ökonomische Ressourcen & Begrenzungen  von institutionell-rechtliche Bedingungen zu institutionell-rechtliche Ressourcen & Begrenzungen  und von diskursiv-ideologisch-kulturelle Bedingungen zu diskursiv-ideologisch-kulturelle Ressourcen und Begrenzungen.  Die gesellschaftlichen Bedingungen beeinflussen also die jeweiligen Ressourcen und Begrenzungen der Individuen.  Umgekehrt zeigen drei graue Pfeile vom mittleren gelben Kasten ‚Individuum/Subjekt‘ zu den gerade genannten blauen Kästen mit den Bedingungen. Die Individuen beeinflussen also auch umgekehrt die Bedingungen.  Unter der Grafik steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

3.3 Subjektive Funktionalitäten und diskriminierende Deutungs-,
Handlungs- und Vergemeinschaftungsangebote

Für die Prävention diskriminierender und selbstschädigender Einstellungen und Verhaltensweisen ist nun interessant, wie diese mit den genannten Bedingungen oder weiteren Faktoren in Wechselwirkung stehen. Den Einfluss gesellschaftlicher Bedingungen habe ich bereits genannt. Noch vernachlässigt habe ich individuelle Wünsche und Bedürfnisse wie z.B. Bindung, Zugehörigkeit, Sicherheit, ein materiell gutes Leben, Selbstwirksamkeit etc.

Denk- und Verhaltensweisen können subjektiv funktional sein, also für die Individuen sinnvoll, einerseits bzgl. der Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse und andererseits, nicht immer klar davon abgrenzbar, im Umgang mit gesellschaftlich verursachten Anforderungen, Überforderungen und Problemen. Dies gilt auch für diskriminierende oder selbstschädigende Einstellungen und Verhaltensweisen.[12] Die Grafik soll die Verbindung von subjektiven Funktionalitäten und diskriminierenden Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangeboten mit den oben beschriebenen gesellschaftlichen und subjektiven Bedingungen verdeutlichen.

Über der Grafik steht: Subjektive Funktionalität & diskriminierende Angebote.  Zu sehen ist die oben beschriebene Grafik mit den beiden Ovalen ‚gesellschaftliche Ebene‘ und ‚subjektive Ebene‘.  Neu hinzugefügt sind einerseits zwei grüne Pfeile, die jeweils in zwei Richtungen weisen. In beiden steht: Funktionen.  Einer verbindet im gelben Kasten rechts ‚Individuum/Subjekt‘ die beiden ockerfarbenen Kästen ‚Einstellungen & Verhaltensweisen‘ und ‚Wünsche und Bedürfnisse‘.  Der andere verbindet zwischen den beiden Ovalen den Kasten ‚Einstellungen & Verhaltensweisen‘ und den Kasten ‚Anforderungen an die, Überforderungen & Probleme der Subjekte‘.  Einstellungen und Verhaltensweisen können also sowohl subjektiv funktional bzgl. der Erfüllung von Wünschen und Bedürfnissen sein als auch bzgl. des Umgangs mit gesellschaftlichen Anforderungen sowie gesellschaftlich verursachten Überforderungen und Problemen.  Zum anderen steht neu oben rechts in grau: diskriminierende Denk-, Handlungs- & Vergemeinschaftungsangebote.  Dieser Text ist mit grauen Linien verbunden mit dem subjektiven ockerfarbenen Kasten ‚Wünsche und Bedürfnisse‘ sowie mit dem blauen Kasten ‚Anforderungen an die, Überforderungen & Probleme der Subjekte‘.  Diskriminierende Angebote können also attraktiv werden, indem sie Angebote zur Erfüllung von Wünschen und Bedürfnissen machen und/oder zum Umgang mit gesellschaftlich verursachten An- und Überforderungen sowie Problemen.  Unter der Grafik steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

Unten gebe ich ausführlichere Beispiele, hier nur kurz veranschaulicht:

  • In einer stark von Diskriminierung geprägten Lebenswelt kann es für den Wunsch nach Freund*innenschaft oder Bindung subjektiv funktional sein, mindestens mit diskriminierenden Aussagen anderer Menschen leben zu können, aber potenziell auch mitzumachen und dadurch Zugehörigkeit und Loyalität zu zeigen.
  • Im Umgang mit der gesellschaftlichen Anforderung an Jungen oder Männer, immer souverän und erfolgreich zu sein (vgl. Debus i.V.: Kap. 7, sowie Stuve/Debus 2012b), kann es bei drohendem Scheitern subjektiv funktional sein, verschwörungstheoretisch bestimmten marginalisierten Gruppen die Schuld zu geben und/oder psychisch, körperlich oder sexualisiert gewalttätig die eigene Handlungsfähigkeit und Macht zu beweisen.

Um es nochmal anders zu formulieren: Diskriminierende Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangebote (z.B. rechter, religiös fundamentalistischer oder antifeministischer Lebenswelten bzw. Akteur*innen) setzen an individuellen Wünschen und Bedürfnissen an und/oder an der Suche nach Umgangsweisen mit gesellschaftlich verursachten An- und Überforderungen wie Problemen.

3.4 Eingeschränkter und erweiterter Handlungsraum

Oft haben diskriminierende Denk- und Verhaltensweisen (und auch selbstschädigende Verhaltensweisen wie internalisierte Unterdrückung) die Funktion, sich handlungsfähig zu fühlen, ohne (bestimmte) Sanktionen (bestimmter) mächtigerer Instanzen in Kauf zu nehmen bzw. mit bestimmten gesellschaftlichen Strukturen, Normen etc. zu brechen oder einen bestimmten Preis zu bezahlen. Dies wäre in der Kritischen Psychologie der eingeschränkte Handlungsraum.

Die folgende Grafik ergänzt das vorher Erarbeitete um den eingeschränkten und erweiterten Handlungsraum.

Über der Grafik steht: Handlungsräume.  Zu sehen ist die oben beschriebene Grafik mit den beiden Ovalen ‚gesellschaftliche Ebene‘ und ‚subjektive Ebene‘, den Pfeilen der subjektiven Funktionalitäten von Einstellungen und Verhaltensweisen und der Verbindung von diskriminierenden Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangeboten zu individuellen Wünschen und Bedürfnissen und gesellschaftliche verursachten Anforderungen, Überforderungen und Problemen.  Neu hinzugefügt sind zwei Ovale:  An einem pinken Oval steht: eingeschränkter Handlungsraum. Es befindet sich weitgehend im hellgelben Oval und umschließt den gelben Kasten Individuum/Subjekt mit den beiden ockerfarbenen Kästen Einstellungen & Verhaltensweisen und Wünsche und Bedürfnisse und den Pfeil mit den Funktionen, der sie verbindet.  Nach links reicht es leicht aus dem gelben Oval hinaus und umschließt dabei auch teilweise den Pfeil mit den Funktionen, der die individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen mit den gesellschaftlich verursachten Anforderungen, Überforderungen und Problemen verbindet.  Dabei berührt es nicht die Kästen mit den Ressourcen und Bedingungen.  Eingeschränkte Handlungsfähigkeit berührt also weder die gesellschaftliche Ebene, noch verändert sie etwas an den Ressourcen und Bedingungen.  An einem lilanen Oval steht: erweiterter Handlungsraum. Dieses Oval umschließt ebenfalls den gelben Kasten Individuum/Subjekt. Zusätzlich reicht es in alle anderen Kästen hinein, auf der subjektiven Ebene in die Kästen zu Ressourcen und Begrenzungen und auf der gesellschaftlichen Ebene in die Kästen zu Bedingungen.  Es umschließt dadurch auch beide Pfeile mit den Funktionen und den Kasten mit den gesellschaftlich verursachten Anforderungen, Überforderungen und Problemen.  Erweiterte Handlungsfähigkeit kann also potenziell etwas an den gesellschaftlichen Bedingungen und ihren Folgen wie auch den damit verbundenen individuellen Ressourcen und Begrenzungen verändern.  Unter der Grafik steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

Insbesondere für Fragestellungen in Bildung und Sozialer Arbeit sei ergänzt, dass die Ressourcen und Begrenzungen der beteiligten Menschen (Fachkräfte und Adressat*innen) nicht nur durch gesamtgesellschaftliche Faktoren beeinflusst werden. Darüber hinaus können auch Dynamiken in Institutionen, Teams, Kooperationen und mit Geldgeber*innen relevant sein ebenso wie Dynamiken in Sozialräumen bzw. Lebenswelten, z.B. lebensweltspezifische Normen, Machtgefüge, Autoritäten etc.

Eine Erweiterung des Handlungsraums ist einerseits oft erreichbarer in kleineren Systemen wie Institutionen und sozialen Umfeldern. Manchmal ist hier der Umgang mit Schwierigkeiten gestaltbarer als von den Individuen angenommen. Dann können in pädagogischen Angeboten Strategien für Veränderungen entwickelt werden, die (Teile der) Probleme tatsächlich lösen oder deutlich verbessern, wenn die Beteiligten sich trauen, mit etwas längerem Atem an der Erweiterung von Grenzen zu arbeiten, und sich bei Bedarf mit anderen strategisch organisieren.

Risiken bzgl. der Erweiterung des Handlungsraums bestehen allerdings sowohl in Bezug auf materielle und juristische Sanktionen und Scheiternserfahrungen als auch bzgl. des Verlusts sozialer Anerkennung und von Bindungen sowie bzgl. sozialer Isolation, Konflikten in Familie, Beziehungen, Freund*innenschaften oder Team etc.

Anders als viele Ansätze der Kritischen Psychologie, gehe ich aber nicht davon aus, dass diskriminierendes Verhalten immer Selbstfeindschaft bedeuten muss, weil es das eigentliche, zugrundeliegende Problem verfestigt. Bei vielen pädagogischen Adressat*innen und Fachkräften dürfte das oft zutreffen.

Exkurs: Diskriminierung, Ausbau von Privilegien, Selbstfeindschaft und Erweiterung von Handlungsfähigkeit nach rechts

Ich finde aber wichtig einzubeziehen, dass für bestimmte Akteur*innen ein Ausbau ihrer Privilegien sehr wohl funktional zur Umsetzung ihrer Interessen sein kann und in diesem Sinne auch als eine Art erweiterte Handlungsfähigkeit einzustufen wäre.

Für viele rechte Zielgruppen ist zwar zu argumentieren, dass es sich um Selbstfeindschaft handelt, weil ein Erfolg bspw. extrem rechter Parteien ihre Lebensbedingungen faktisch verschlechtern würde. Grundsätzlich trifft die These der Selbstfeindschaft im Kontext zu erwartender wegfallender sozialer Absicherung etc. aber nicht auf alle Themenfelder und Anhänger*innen und erst recht nicht auf alle Führungspersonen rechter Bewegungen zu. Und selbst Menschen, die z.B. bzgl. Sozialpolitik durch die Umsetzung ihrer Ziele schlechter gestellt würden, vermeiden damit möglicherweise auch, bestimmte Preise einer progressiven, z.B. klimafreundlichen Politik zu zahlen, und können die Kosten rechter Politik auf andere Generationen verschieben, was durchaus im eigenen materiellen Interesse sein kann. Die Frage der Selbstfeindschaft stellt sich m.E. also komplexer.

Zudem haben wir gerade vermehrt mit rechten Bewegungen zu tun, die erschreckend erfolgreich ihre Handlungsfähigkeit über das vorher gesellschaftlich Mögliche erweitern, um ihre Interessen in Konkurrenz zu anderen zu vertreten. Und u.a. in Bezug auf Trumps Regierung in den USA gilt auch infrage zu stellen, ob dies immer nur in Übereinstimmung mit kapitalistischen Interessen geschieht. Möglicherweise können wir also auch von einer Erweiterung von Handlungsfähigkeit nach rechts sprechen. Dies ist ein Grund, warum ich mich bemühe, erweiterte Handlungsfähigkeit in meinen Zielformulierungen in der Regel inhaltlich zu qualifizieren, z.B. als nicht-diskriminierende, diskriminierungskritische, egalitäre, vielfalts- oder gleichstellungsorientierte oder emanzipatorische Handlungsfähigkeit.

Aber um auf die aus meiner Sicht Mehrheit der pädagogischen Adressat*innen und Fachkräfte zurückzukommen: Wenn wir emanzipatorische Alternativen zu diskriminierenden Denk- und Verhaltensangeboten attraktiv machen wollen, ist es oft hilfreich, daran zu arbeiten, die Handlungsfähigkeit über Konkurrenzlogiken und ein Arrangement mit bestehender Ungerechtigkeit und beschränkenden Lern- und Arbeitsbedingungen hinaus nicht-diskriminierend und emanzipatorisch zu erweitern (s. Kapitel 4 und 5).

Dafür müssen wir uns aber für die Schwierigkeiten, Anliegen und Handlungsbedingungen unserer Adressat*innen interessieren (dies gilt nicht nur für marginalisierte Adressat*innen, sondern auch für die Arbeit z.B. mit Lehrkräften), ggf. auch im Interesse anderer Menschen, auf deren Leben sie Einfluss haben. Für erfolgreiche Beziehungsarbeit sollten wir uns aber auch für sie selbst interessieren und nicht ein lediglich instrumentelles Interesse daran haben, ihre Handlungsfähigkeit für unsere Anliegen zu nutzen. Sonst ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Multiplikator*innen genau diese Haltung unseres Umgangs mit ihnen (also unseren Adressat*innen) in ihrem Umgang mit wiederum ihren Adressat*innen spiegeln.

3.5 Defensives und expansives Lernen, Spaß und Motivation

Insbesondere mit Iven Saadi sowie angeregt durch Annita Kalpaka und Andreas Foitzik habe ich mich viel mit Lernverhältnissen in der diskriminierungskritischen Bildung beschäftigt (vgl. u.a. Klemm et al. 2022).

Eher autoritäre Lernanordnungen, die mit Strafe u.a. in Form von Beschämung oder Rauswürfen arbeiten, halte ich zwar für manchmal unvermeidbar (z.B. Notwendigkeit von Rauswürfen zum Schutz anderer oder aufkommende Beschämungsgefühle, auch wenn wir Feedback sachlich oder wohlwollend formulieren). Wenn sie aber mein Lernangebot prägen, werden sie höchstwahrscheinlich defensives Lernen auslösen, wobei sich dies sowohl in offener Abwehr als auch in freundlichem Schweigen oder nach dem Mund reden zeigen kann (vgl. u.a. Busche/Streib-Brzič 2018). Möglicherweise erreiche ich damit Menschen mit sehr hohem moralischem Selbstanspruch, die mich als Autorität anerkennen und/oder wenig Gegenwehr gegen autoritäre Lernverhältnisse haben. Die meisten Lernenden aber werden das so Vermittelte nicht motiviert und nachhaltig in eine diskriminierungskritische Praxis und emanzipatorische Umgangsweisen mit anderen Menschen übersetzen.

Expansives Lernen wiederum führt potenziell, mit Frigga Haug gesprochen, eigene bisherige Erfahrungen oder Normalitätsannahmen in die Krise (vgl. Debus/Saadi i.V./2025b sowie im Original Haug 1981, 2003, für einen kurzen Überblick über Haugs Arbeiten Weber 2004). Es wird also nicht nur etwas dazu gewonnen, es wird auch etwas in Frage gestellt und oft geht eine alte Handlungssicherheit verloren, bis neue Handlungsfähigkeit entwickelt wird. Ein solcher Prozess ist oft anstrengender als defensives Lernen und nur möglich, wenn die Individuen ein eigenes Interesse an erweiterter Handlungsfähigkeit entwickeln.

Die Wahrscheinlichkeit zu einem solchen expansiven Lernprozess erhöht sich durch eine Mischung aus Beziehungsarbeit, die vermittelt, dass die Adressierten als Personen ernst genommen, respektiert, wertgeschätzt und auch in Suchbewegungen und Krisen begleitet werden, sowie Kritik, die die Adressat*innen auf Probleme hinweist, dabei die strukturelle Einbettung der Probleme berücksichtigt und gleichzeitig die Adressat*innen in Verantwortung für die Konsequenzen des eigenen Verhaltens nimmt und zu anderem Handeln ermutigt (vertiefend u.a. Kalpaka 2003).

Allerdings erweisen sich solche expansiven Lernprozesse als relativ voraussetzungsreich, nicht nur, weil sie anstrengend sind, sondern auch, weil sie erfordern, dass die Lernenden innerhalb des Angebots einen eigenen Lerngegenstand identifizieren, also das Lernangebot mit Fragen ihres eigenen Lebens verknüpfen (vgl. Debus/Saadi 2024a). Gut erreichbar ist das in meiner Erfahrung mit bereits interessierten Teilnehmenden sowie in auf Empowerment ausgerichteten Angeboten, wenn es gelingt, an den Interessen der Lernenden anzusetzen.

Nicht immer aber eignen sich Setting, Zeit, Interessen und Lerngewohnheiten der Adressat*innen für einen in diesem Maße erkenntnisgesteuerten Prozess.

Und insbesondere Lernangebote, die für Ungleichheitsverhältnisse sensibilisieren wollen, in denen viele Teilnehmende privilegiert werden, ohne dass sie dies bereits als Problem empfinden, geraten oft an Grenzen. Regelmäßig gelingt eine Verknüpfung mit eigenen Handlungsproblematiken in solchen Settings insbesondere nicht zum Beginn des Lernprozesses.

Motivierend zum Einstieg können je nach Zielgruppe auch Spaß, Wirksamkeits- oder Erfolgserfahrungen, als angenehm empfundene Methoden oder ein guter sozialer Umgang wirken (Debus/Saadi 2024a, Debus/Saadi i.V./2025b). All dies kann Offenheit, Motivation oder Neugier wecken.

Allerdings erhöhen wir die Chance, dass die Adressat*innen die Inhalte tatsächlich an sich heranlassen und nachhaltig in emanzipatorische Praxis übersetzen, wenn es gelingt, dass sie im Laufe des Angebots Verknüpfungen zu eigenen Anliegen (z.B. einem guten Miteinander, eigenem Empowerment, gegenseitiger Solidarität, Handlungsfähigkeit gegen Ungerechtigkeit, eigenen Werten, professionellen Aufträgen etc.) erkennen und in dieser Verknüpfung Handlungsfähigkeit und solidarische soziale Vernetzungen entwickeln.

4 Pädagogische Ansätze

In Kapitel 5 bespreche ich ausführlicher Hypothesen für mögliche subjektive Funktionalitäten diskriminierender Verhaltensweisen auf den Ebenen Umgang mit selbstbezogenen Wünschen und Bedürfnissen (5.1), Umgang mit Beziehungen und Gruppendynamik (5.2), Umgang mit Institutionen (5.3) sowie Umgang mit gesellschaftlicher Ungleichheit, Struktur bzw. Krisen (5.4), und leite daraus hypothesenspezifisch erste Förderansätze für Kurz- und Langzeitpädagogik ab. Wer erst die analytische Beschäftigung vertiefen möchte, kann auch zuerst dorthin springen oder zur Anregung ein paar der Beispiele dort lesen und dann in das vorliegende Kapitel zurückwechseln.

Im Folgenden gebe ich Anregungen, wie mit den vorgestellten Kritisch-psychologischen Ansätzen und Weiterentwicklungen in der diskriminierungskritischen Pädagogik gearbeitet werden kann. Ich greife dabei die in der Einleitung angesprochenen Potenziale zur Einordnung des Verhaltens von Adressat*innen (4.1), für Primärprävention und Förderung von Alternativen (4.2) sowie für Interventionen auf (4.3) und gehe kurz auf das Potenzial für Empowerment und zur Stärkung diskriminierungskritischer Menschen ein (Kasten in 4.2.1).

Ich erinnere daran, dass wir uns hier v.a. im Bereich der Prävention und Förderung von Alternativen befinden, und insbesondere Sekundär- und Tertiärprävention (vgl. Klemm/Wittenzellner i.V./2025) immer mit Empowerment, Schutz und Unterstützung Betroffener sowie Förderung diskriminierungskritischer Menschen abzuwägen sind. Manchmal ist vor diesem Hintergrund beispielsweise ein zugewandter Zugang, in dem wir uns v.a. darum bemühen, einer diskriminierend handelnden Person Alternativen zur Verfolgung ihrer Anliegen nahezulegen, zu kostspielig bzgl. der Aufmerksamkeits- und Raumverteilung. Die Abwägung wird noch etwas komplexer, wenn wir die Interessen Betroffener und diskriminierungskritischer Adressat*innen nicht nur während unseres Angebots, sondern auch in der Zukunft einbeziehen: Gelingt es uns tatsächlich, diskriminierend handelnde Menschen so gut zu erreichen, dass sie in Zukunft weniger diskriminierend handeln, ist für Menschen in ihren Leben sowie ggf. andere Adressat*innen, die sich im gleichen Raum mit ihnen bewegen (Schulklasse, Jugendzentrum, Stadtviertel, Team etc.) viel gewonnen. Es ist also auch relevant, wie viel Wirksamkeit ich erwarte, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, eine Gruppe zu trennen oder separate Angebote zu machen. Die Abwägung von Aufmerksamkeits- und Raumverteilung ist daher komplex und kann immer nur im konkreten Fall getroffen werden, oft eher in Form von Suchbewegungen und deren stetiger Auswertung und Weiterentwicklung als in Form klarer Antworten.

Die folgende Grafik führt die Erarbeitungen aus Kapitel 1 und 2 mit pädagogischen Ansatzpunkten zusammen, die ich in diesem Kapitel anspreche.

Über der Grafik steht: Alternativen, Resilienzen & Ressourcen stärken.  Zu sehen ist die oben beschriebene Grafik mit den beiden Ovalen ‚gesellschaftliche Ebene‘ und ‚subjektive Ebene‘, den Pfeilen der subjektiven Funktionalitäten von Einstellungen und Verhaltensweisen und der Verbindung von diskriminierenden Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangeboten zu individuellen Wünschen und Bedürfnissen und gesellschaftliche verursachten Anforderungen, Überforderungen und Problemen sowie dem eingeschränkten und erweiterten Handlungsraum.  Neu hinzugefügt sind zwei Themen:  Zum einen steht oben links in türkis: Resilienzen fördern.  Eine grüne Linie führt zu den grauen Strichen, die markieren, dass diskriminierende Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangebote sowohl Wünsche und Bedürfnisse der Subjekte als auch gesellschaftlich verursachte An- und Überforderungen sowie Probleme markieren.  Beide Verbindungen sind türkis durchgestrichen. Resilienzen können also u.a. gefördert werden, indem diskriminierende Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangebote unattraktiv gemacht werden.  Zum anderen steht oben in der Mitte in rot: alternative Deutungs- & Verhaltensangebote & Ressourcen stärken.  Von dort führen rote Linien zu:  allen gelben Kästen mit Ressourcen und Begrenzungen der Subjekte  dem blauen Kasten mit den gesellschaftlich verursachten An- und Überforderungen sowie Problemen  den beiden grünen Pfeilen mit den Funktionen  dem lila Oval mit der erweiterten Handlungsfähigkeit  Auf all diesen Ebenen kann Prävention und Intervention ansetzen.  Dies war die letzte Grafik dieser Reihe.  Unter der Grafik steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

Kurzzeit- versus Langzeitpädagogik in Prävention und Intervention

Manche der im Folgenden vorgestellten Förderansätze erfordern eine langfristige Begleitung sowie Vertrauensaufbau in länger angelegter Beziehungsarbeit. Dies betrifft insbesondere Ansätze der Persönlichkeitsentwicklung, der Veränderung von (institutioneller, lebensweltlicher etc.) Kultur, des Aufbaus anderer Formen der Vergemeinschaftung sowie Themen, die wichtige Perspektiven auf die Welt sowie Bindungen oder Zugehörigkeiten gefährden können.

Ausstiegsarbeit bei gefestigten Weltbildern bzw. intensiver Eingebundenheit in diskriminierende Lebenswelten erfordert neben Langfristigkeit auch ein spezialisiertes Setting mit entsprechender Qualifikation, Personal- und Reflexionsressourcen und funktioniert i.d.R. nur, wenn die entsprechende Person auch selbst Anlass sieht, ihr Weltbild bzw. ihre Zugehörigkeit zumindest zu überdenken.

Kurzzeitpädagogik kann Betroffene und Engagierte stärken (vgl. u.a. Debus 2024). Bzgl. Prävention und Intervention kann sie einerseits bei der Vermittlung von Wissen, Empathie und Deutungsangeboten bzw. Framings ansetzen. Manchmal kann sie punktuell alternative Erfahrungen oder Erprobungen ermöglichen und Hinweise auf nicht-diskriminierende Vergemeinschaftungsangebote geben. Darüber hinaus kann sie Samenkörner für persönliche Weiterentwicklungen und andere Umgangsweisen in sozialen Kontexten legen, die möglicherweise später aufgehen. Und sie kann Handlungsansätze im Umgang mit Herausforderungen zugänglich machen. Ich empfehle, die Stärken und Grenzen des eigenen Settings zu analysieren und ensprechende Prioritäten zu setzen, und dabei besonders gut auf die unten besprochene Frage von Aufmerksamkeits- und Raumverteilung zu achten (vgl. Unterkapitel 4.3.3). Ggf. müssen Auftrag- und Geldgeber*innen aus Expert*innenperspektive bzgl. möglicher Ziele der Kurzzeitpädagogik beraten werden. Besonders viel Potenzial bieten Kooperationen aus Kurz- und Langzeitpädagogik, die bewusst die Stärken der jeweiligen Angebote nutzen und verzahnen.

4.1 Einordnung des Verhaltens von Adressat*innen

Die Beschäftigung mit möglichen subjektiven Funktionalitäten diskriminierenden oder selbstschädigenden Verhaltens (darunter auch internalisierte Unterdrückung) sowie mit der Problematik eingeschränkter Handlungsräume und defensiven Lernens kann helfen, das Verhalten von Adressat*innen besser einzuordnen und auf dieser Grundlage handlungsfähiger zu werden.

Wenn ich entlang der Problematisierung defensiven Lernens verstehe, dass Adressat*innen, die mir nach dem Mund reden und/oder sich still zurückziehen, nicht unbedingt einen sinnvolleren Lernprozess erfahren als Teilnehmende, die mir widersprechen, kann ich meine Angebote überdenken. Ich kann Widerspruch als potenziell produktiven Abgleich der vorgestellten Sichtweisen mit dem eigenen Weltbild einordnen und ggf. auch als Kontaktaufnahme oder Auseinandersetzungsversuch (vgl. Unterkapitel 5.1.4). Und ich kann umgekehrt überlegen, ob ich Menschen in expansive Lernprozesse einladen kann, die sich einer Auseinandersetzung durch stillen Rückzug, nach dem Mund reden oder Abwehr entziehen.

Wenn bestimmte diskriminierende Denk- und Verhaltensweisen möglicherweise wichtige Funktionen für manche meiner Adressat*innen erfüllen können, kann mich das zu mehr Realismus in meinen Zielvorstellungen veranlassen und zu einem wohlwollenderen Umgang, wenn sie nicht jeden Schritt mitgehen, insbesondere nicht sofort. Hier kann sich ein Perspektivwechsel lohnen, wie wir selbst reagieren würden (oder vielleicht auch in der Vergangenheit reagiert haben), wenn Bildungsarbeiter*innen entgegen unserem Weltbild handeln oder Dinge von uns wollen, die auf der einen oder anderen Ebene kostspielig für uns wären. Oft wird dann deutlich, dass einfach alles sofort umdenken eine unrealistische Erwartung ist und dass ein Einlassen wahrscheinlicher wird, wenn die Fachkraft nicht v.a. als belehrend, herablassend, aggressiv oder unter Druck setzend wahrgenommen wird.

Oft ist Beziehungsarbeit entscheidend. Wenn die Adressat*innen der Leitung abnehmen, es grundsätzlich gut mit ihnen zu meinen und ihre Anliegen ernstzunehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie Einladungen zu Veränderung annehmen.

Aber auch dann brauchen solche Prozesse meist Zeit und eine gute Mischung aus angesprochen und mitgenommen werden, ggf. etwas herausgefordert, aber dann zur Bearbeitung auch in Ruhe gelassen werden, um den Eindruck zu mildern, sich gegen Eingriffe in die eigene Persönlichkeit verteidigen zu müssen.

Aber auch dann brauchen solche Prozesse in der Regel Zeit und eine gute Mischung aus angesprochen und mitgenommen werden, ggf. etwas herausgefordert, aber dann zur Bearbeitung auch in Ruhe gelassen werden, um den Eindruck zu mildern, sich gegen Eingriffe in die eigene Persönlichkeit verteidigen zu müssen.

Diese Balance zwischen Kontakt, Anregungen, ggf. Konfrontation, wo nötig Grenzsetzung, aber auch Respekt und Zeit lassen, gelingt in meiner Wahrnehmung besser, wenn ich meinen Erfolg nicht daran messe, dass mir alle Adressat*innen zustimmen – eine solche Konformitäts- und Anpassungserwartung ist auch aus emanzipatorischer Sicht fragwürdig, auch wenn ich gleichzeitig inhaltlich sehr überzeugt von meinen Anliegen bin.

Gerade bei Themen, die die Persönlichkeit oder das Verhältnis der Adressat*innen zum Umfeld bzw. zur Welt berühren, und bei denen eine Abwendung von diskriminierenden Denk- und Verhaltensweisen größere Veränderungen erfordern und größere Kosten mit sich bringen würde, können wir in der Kurzzeitpädagogik v.a. Spuren oder Samenkörner legen, die Zeit und gute Bedingungen brauchen, um aufzugehen. In der Langzeitpädagogik sollten wir einen langen Atem haben. Solche Prozesse wie auch Veränderungen in Gruppendynamiken können Monate oder Jahre dauern. Wenn wir uns von überstürzten Erfolgserwartungen lösen, akzeptieren, dass wir nicht immer sehen, was in Bewegung gerät, wenn wir das Recht der Adressat*innen respektieren, selbst zu denken und eigene Abwägungen zu treffen, und uns selbst nicht für allwissend halten, können wir einladendere Bedingungen zum Umdenken schaffen und damit letztlich mehr bewegen.

Auch Selbstwirksamkeitserwartungen und -erfahrungen können entscheidend sein: Wenn meine Adressat*innen erleben, dass meine Angebote ihnen eine Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit erlauben, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie motiviert für einen weiteren Lernprozess sind. Wenn sie vermuten oder erleben, dass sie durch ein Einlassen weniger handlungsfähig werden (weil ich ihnen beispielsweise nur sage, was sie nicht mehr machen dürfen, aber kein Ertrag für sie sichtbar wird, oder weil mein Angebot Überforderungsgefühle steigert), liegt es nahe, dass sie sich weniger bereitwillig einlassen werden. (Und wir sollten hier nicht Adressat*innen oder ggf. uns selbst als frühere Adressat*innen zum Maßstab nehmen, die sehr moralisch motiviert und leidensbereit zur Einlösung ihrer moralisch-politischen Ansprüche sind und/oder Umfelder haben/hatten, in denen optimiertes diskriminierungskritisches Verhalten zu mehr Anerkennung führt. Dies trifft in vielen Kontexten nur auf die Minderheit unserer Adressat*innen zu. Wenn wir mehr Menschen erreichen wollen, müssen wir uns auf deren Perspektiven einlassen.)

Nicht zuletzt kann die Auseinandersetzung mit subjektiver Funktionalität und eingeschränkten Handlungsräumen auch selbstschädigendes und unsolidarisches Verhalten im Sinne internalisierter Unterdrückung nachvollziehbarer machen und es uns ermöglichen, bessere Angebote zu entwickeln, die einen aktiven Umgang mit den Begrenzungen des Handlungsraums und drohenden Sanktionen fördern.

Aber auch mit langem Atem und allen Samenkörnern der Welt werde ich nicht alle Adressat*innen erreichen. Nicht nur, weil manche von ihnen Privilegien auf Kosten anderer absichern wollen, sondern auch, weil für manche viel auf dem Spiel steht und sie sich (zumindest im Rahmen meines Wirkungsgrades) nicht für den entsprechenden Verlust entscheiden (können). Dies kann in der Kinder- und Jugendarbeit insbesondere der Fall sein, wenn die Bindung zu den Eltern oder im Alltag wichtigen Großeltern auf dem Spiel steht, oder in der Arbeit mit allen Altersgruppen, wenn wichtige Zugehörigkeiten oder andere zentrale Bindungen bedroht werden, insbesondere, wenn diese eine wichtige unterstützende oder schützende Funktion haben. Wenn ich das einordnen kann, kann ich es weniger persönlich nehmen und ruhigere, fundiertere Entscheidungen bzgl. des Umgangs damit treffen.

4.2 Primärprävention und Förderung von Alternativen

Ich fasse in diesem Unterkapitel Primärprävention und die Förderung von Alternativen zusammen, da beide Aspekte pädagogisch häufig auf gleiche oder ähnliche Angebote hinauslaufen. Oft bieten entsprechende Vorgehensweisen auch eine hilfreiche Flankierung, wenn Interventionen erforderlich sind (s. unten).

Gute Voraussetzungen, um Adressat*innen im beschriebenen Sinne zu erreichen, sind Lernangebote, die eher zu expansivem als zu defensivem Lernen einladen, Emotionen von Teilnehmenden berücksichtigen (vgl. Debus/Saadi i.V./2025b) sowie eine gute Lernatmosphäre und hilfreiche Framings für kritische Auseinandersetzungen schaffen (vgl. Debus/Saadi 2024a, b).

4.2.1 Stärkung nicht-diskriminierender und diskriminierungskritischer Ressourcen

Wenn diskriminierendes wie auch selbstschädigendes Verhalten inkl. internalisierter Unterdrückung u.a. dadurch attraktiv werden kann, dass es Möglichkeiten zur Erfüllung von Bedürfnissen und Wünschen sowie Handlungsfähigkeit im Umgang mit gesellschaftlich oder lebensweltlich verursachten An- und Überforderungen und Problemen verspricht, liegt es nahe, in der Prävention und Förderung von Alternativen an diesen Punkten anzusetzen.

Oft bieten diskriminierende Diskurse Deutungsangebote zur Einordnung eigener Probleme oder schlechter Erfahrungen, die in vielen Fällen an den realen Ursachen vorbeigehen (vgl. Wittenzellner et al. i.V./2025). Daneben stellen sie Fakten falsch dar und wecken neue bzw. verschärfen bereits vorhandene Ängste.

In der Primärprävention können wir, im Wissen um häufige Angriffsstellen diskriminierender Diskurse (z.B. Konkurrenz am Arbeitsmarkt, Verwirrung oder Unsicherheiten bzgl. einer Dynamisierung von Geschlechterverhältnissen, Angstmache und Schutzversprechungen, Verzerrung progressiver Veränderungsbemühungen als Bedrohungen, Verschwörungserzählungen etc.), präventiv Wissen zu diesen Themen vermitteln sowie die Fähigkeit stärken, Fake News zu erkennen bzw. Fakten zu recherchieren. Zudem gilt es, die dahinterliegenden Probleme ernst zu nehmen und nicht-diskriminierende Deutungsangebote zu machen.

Beispiele für Förderansätze zur Erweiterung nicht-diskriminierender und emanzipatorischer Handlungsfähigkeit:

  • Förderung nicht-diskriminierender und diskriminierungskritischer Deutungen für Herausforderungen, Probleme und Krisen
  • Förderung von Kompetenzen, um Wünsche und Bedürfnisse nicht-diskriminierend zu verfolgen
  • Förderung von Möglichkeiten des nicht-diskriminierenden und grenzachtenden Umgangs mit herausfordernden Gefühlen, Situationen, Rahmenbedingungen und Konflikten
  • Förderung von Möglichkeiten des emanzipatorischen Umgangs mit und der Interessenvertretung gegen gesellschaftlich oder lebensweltlich verursachte An- und Überforderungen, Probleme und Ungerechtigkeiten
  • Förderung der Entwicklung von und des Zugangs zu nicht-diskriminierenden, vielfalts- und gleichstellungsorientierten sowie diskriminierungskritischen Beziehungen und sozialen Zusammenhängen
  • Förderung von Persönlichkeitsentwicklung, die für zentrale Anliegen wie Selbstwert, Orientierung etc. ohne Diskriminierung oder Selbstschädigung auskommt
  • strukturelle Weiterentwicklung von Institutionen, sodass sie weniger Probleme schaffen, die diskriminierendes Verhalten subjektiv funktional machen, sowie Förderung der Fähigkeit, emanzipatorisch mit Problemen in Institutionen umzugehen
  • Schutz vor Gewalt, Diskriminierung und Sanktionen gegen Normabweichungen bzw. diskriminierungskritisches Verhalten, Förderung des Zugangs zu entsprechenden Ansprech- und Beratungsstellen sowie Schutzangeboten
  • Stärkung des Zugangs zu externen Ressourcen im Umgang mit all diesen Themen

In Kapitel 5 mache ich hierzu konkretere Vorschläge.

Wo immer möglich, ist zudem praktische Unterstützung bzw. Zugang zu entsprechenden Angeboten im Umgang mit materiellen, juristischen oder institutionellen Problemen zentral, die nicht durch die Arbeit am eigenen Denken und Fühlen lösbar sind.

Empowerment von Diskriminierung betroffener Menschen und Stärkung diskriminierungskritischer Adressat*innen

mit Bezug auf alle Unterkapitel dieses Kapitels

Auch Menschen, die im jeweiligen Thema von Diskriminierung betroffen sind und/oder sich gegen Diskriminierung einsetzen möchten, werden durch eine entsprechende Förderung von Wissen und Deutungsangeboten sowie eine Stärkung von Kompetenzen und Ressourcen im Umgang mit Wünschen, Bedürfnissen sowie gesellschaftlich oder lebensweltlich verursachten Problemen etc. gestärkt (bzgl. ihrer Förderung im Umgang mit Antifeminismus vgl. vertiefend Debus 2024).

Dies ist einerseits wichtig für Empowerment. Eine selbstschädigende Form eingeschränkter Handlungsfähigkeit im Umgang mit allen genannten Themen ist internalisierte Unterdrückung, also u.a. sich abzufinden mit der Ungerechtigkeit, die mir widerfährt, und deren Logiken in das eigene Denken, Fühlen und Handeln zu übernehmen, was sich schlechtestenfalls auch unsolidarisch gegen andere Betroffene richten kann. Oft ist internalisierte Unterdrückung eine Möglichkeit, Sanktionen, bestimmten Ohnmachtserfahrungen und persönlichen Enttäuschungen vorzubeugen und Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen abzusichern (vgl. auch Debus/Saadi i.V./2025c: Kap. 2). Eine Einordnung sowie Stärkung alternativer Umgangsweisen mit diesen Risiken sind daher wichtige Elemente von Empowerment.

Für Betroffene und Engagierte ist eine Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit wichtig, u.a. von Wissen, Argumenten, Handlungskompetenzen und Ressourcen. Relevant ist auch der Zugang zu solidarischen Sozialräumen, Vernetzungen sowie Schutz und Unterstützung bei Problemen und Bedrohungen. Nicht zuletzt bedürfen auch Betroffene und Engagierte einer Begleitung bei der kognitiven Einordnung und emotionalen Bearbeitung gesellschaftlicher An- und Überforderungen. Nur weil sie diese ggf. kognitiv kritisieren, sollten deren psychische Verankerung und daraus folgende Belastungen nicht unterschätzt werden.

4.2.2 Förderung von Kritik- und Distanzierungsfähigkeit gegenüber gesellschaftlichen und lebensweltlichen An- und Überforderungen sowie Problemen

Wenn diskriminierendes Handeln u.a. im Umgang mit gesellschaftlich und lebensweltlich verursachten An- und Überforderungen sowie Problemen attraktiv sein kann, ist es wichtig, auch an dieser Stelle fördernd anzusetzen.

Oft werden schädigende gesellschaftliche An- und Überforderungen normalisiert, z.B. im Kontext von Geschlechter-, Erfolgs-/Leistungs- oder Körperanforderungen. Das Scheitern an ihnen wird oft als persönliches Versagen individualisiert. Die daraus entstehenden Gefühle können sich dann ggf. aggressiv gegen marginalisierte Gruppen wenden.

Dem lässt sich einerseits durch kognitive Kritikfähigkeit begegnen, also über das Verständnis, was an diesen Anforderungen problematisch ist und dass viele Probleme nicht einfach nur selbst oder aber durch marginalisierte Gruppen verursacht sind. (Selbstverständlich sollte zur Lösung von Problemen auch auf eigene Anteile und Handlungsspielräume geschaut werden.)

Aus kognitiver Kritik folgt aber noch nicht automatisch emotionale Distanzierungsfähigkeit und Scheiternsgefühle können sich ggf. doppeln, wenn die Person sich dann doppelt schämt, einerseits z.B. Schönheitsidealen nicht zu entsprechen und andererseits sich z.B. trotz allen Wissens über Photoshop etc. nicht von ihnen abgrenzen zu können (vertiefend: Debus i.V.: Kap. 8, 2012a). Es bedarf also auch an Auseinandersetzungsmöglichkeiten und Räumen der emotionalen Bearbeitung sowie der Stärkung von Gegenerfahrungen in Räumen, in denen zumindest manche dieser Normen temporär entkräftet werden.

Nicht zuletzt ist es hilfreich, die praktische Wehrhaftigkeit gegenüber Situationen des Alltags zu stärken, in denen die Adressat*innen mit überfordernden Normen und/oder mit gesellschaftlich oder lebensweltlich verursachten Problemen konfrontiert werden, von argumentativen Strategien (Argumente, Argumentationstraining) über nicht-argumentative Strategien (Ebenenwechsel, Themenwechsel, Weggehen, Kontaktabbruch) bis hin zu Selbstbehauptung, Selbstverteidigung, Selbstschutz und Interventionen zum Schutz anderer in bedrohlichen Situationen.

4.2.3 Stärkung von Resilienz gegen diskriminierende Denk-, Handlungs- und
Vergemeinschaftungsangebote

Damit diskriminierende Denk-, Handlungs- und Vergemeinschaftungsangebote attraktiv sein können, müssen Adressat*innen eine grundsätzliche Zugänglichkeit dafür mitbringen. Diskriminierungskritische Pädagogik kann also zusätzlich zu den obengenannten Ansätzen auch die Resilienz gegenüber solchen Angeboten fördern.

Zum einen können in der Primärprävention gleichstellungs- und vielfaltsorientierte Werte sowie Empathie gestärkt werden. Auch eine grundsätzliche Infragestellung der Homogenisierung von Menschengruppen (‚alle Männer sind so‘, ‚alle Frauen sind so‘, ‚alle Syrer*innen sind so‘ etc.) und ein Fokus auf individuelle Vielfalt sowie Überschneidungen zwischen verschiedenen Menschengruppen ist ein wichtiger Resilienzfaktor.

Im Alltag vieler Menschen werden Konkurrenzlogiken, Übergriffigkeiten, Respektlosigkeiten, Verachtung, Fremdbestimmung, Abwertung, psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt etc. normalisiert, auch in pädagogischen Institutionen. Wenn Personen dies selbst als normal erleben, ist es oft erfolglos, sie zu Empathie, Solidarität oder eigenem Empowerment dagegen einzuladen. Positive Gegenerfahrungen eines guten Umgangs können sowohl die Resilienz gegen diskriminierende Ideologien als auch gegen diskriminierende Formen der Vergemeinschaftung stärken.

Dies ist besonders wirksam, wenn stark diskriminierende Lebenswelten, im Extremfall besonders deutlich in extrem rechten oder religiös fundamentalistischen Lebenswelten, nicht nur durch Gewalt nach außen, sondern auch durch gewaltvolle, abwertende etc. Umgangsweisen nach innen geprägt sind. Menschen, die nicht bereit sind, ein solches Verhalten gegenüber sich selbst oder ihnen nahen Menschen hinzunehmen, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit Distanz zu entsprechenden diskriminierenden Angeboten halten bzw. deren falsche Versprechungen, z.B. von Zusammenhalt, Fürsorge oder Schutz, schneller entlarven können.

Nicht zuletzt ist eine Sensibilisierung u.a. für die folgenden Aspekte hilfreich, um schneller die Problematik vermeintlich harmloser Angebote erkennen und auch gegenüber anderen argumentieren zu können:

  • Mechanismen diskriminierender Diskurse, z.B. Angstmache
  • Strategien diskriminierender Akteur*innen, z.B. rechte Strategien, sich über scheinbar unpolitische Care-Tätigkeiten oder über ‚mildere‘ oder für mehr Menschen gerade noch akzeptable Aussagen Zugang zu Räumen oder Menschen zu verschaffen, der dann für ihre Ziele genutzt wird
  • Anwerbeverhalten diskriminierender Akteur*innen, u.a. rechte, religiös fundamentalistische, antifeministische, rassistische oder antisemitische Vergemeinschaftungsangebote, Ansprachen über Social Media, Gaming etc.

4.3 Interventionen gegen diskriminierendes Verhalten

Im Folgenden stelle ich erst drei Prüffragen vor, die wir uns im Umgang mit diskriminierenden Äußerungen stellen sollten (Schutz- und Unterstützungsbedarf anderer, 4.3.1, Erreichbarkeit der diskriminierenden Person, 4.3.2, Aufmerksamkeits- und Raumverteilung, 4.3.3), bevor ich dann Vorschläge zum Umgang mit potenziell erreichbaren Menschen mache.

4.3.1 Prüffrage I: Schutz und Unterstützung anderer

Wenn es in einem Bildungs- oder anderen sozialen Gruppenangebot zu diskriminierenden Verhalten kommt, sollte immer vorrangig abgeklärt werden, ob andere Menschen in der Gruppe in Reaktion darauf Schutz oder Unterstützung brauchen.

Liegt eine Bedrohung anderer Menschen vor, steht deren Schutz an erster Stelle. Dabei ist der Schutz in der unmittelbaren Situation zu berücksichtigen, aber auch die Frage, ob z.B. eine scharfe Sanktion gegenüber der diskriminierenden Person Vergeltung nach Ende des pädagogischen Angebots gegen andere Adressat*innen nach sich ziehen könnte und wie hiergegen Schutz organisiert und/oder einer Fokussierung der Wut auf andere Adressat*innen vorgebeugt werden kann.

Wenn nicht von einer unmittelbaren Bedrohung auszugehen ist, aber die Äußerung oder Handlung belastend für andere Adressat*innen ist, sollten deren Unterstützungsbedarfe nicht übersehen werden. Manchmal sind Gespräche mit diskriminierend handelnden Personen auch für Betroffene hilfreich, u.a. wenn wir uns gute Chancen ausrechnen, dass sie zu einem veränderten Handeln in der nahen Zukunft führen. Sie können aber auch die problematische Botschaft vermitteln, dass diskriminierendes Handeln mit Geduld, Wohlwollen, Aufmerksamkeit und Zuwendung belohnt wird. Und die Beschäftigung mit den Aussagen kann dazu führen, dass diese Aussagen in Wiederholungen und Diskussionen immer mehr Raum in der Gruppe erhalten, was die Belastung für Betroffene erhöhen kann. (Unten komme ich auf Gründe zurück, warum und wie das in manchen Fällen auch zur Stärkung Betroffener und Engagierter beitragen kann.)

Es gilt also, eine Gewichtung zwischen Bemühungen der Sekundärprävention (also dem Versuch, diskriminierend denkende und handelnde Menschen zu erreichen) sowie dem Schutz und der Unterstützung Betroffener und gegen Diskriminierung Engagierter gut abzuwägen bzw. diesen Balance-Akt in Suchbewegungen immer wieder zu reflektieren und neu auszutarieren.

4.3.2 Prüffrage II: Erreichbarkeit

Zudem ist es, wie Sarah Klemm und Ulla Wittenzellner ausführen, pädagogisch wichtig, zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention zu unterscheiden (vgl. Klemm/Wittenzellner i.V./2025). Entsprechend der Erarbeitungen von VdK und mbr (2016) für die Jugendarbeit gegen Rechtsextremismus ist es wichtig, bei solchen Interventionen zu differenzieren, mit wem wir es zu tun haben. Menschen mit geschlossenem Weltbild und hohem Einbindungsgrad in rechte Lebenswelten sind allgemeinpädagogisch nicht zu erreichen, sondern wenn, dann durch spezialisierte Ausstiegsarbeit. Ihnen allgemeinpädagogisch viel Raum zu geben, erlaubt ihnen v.a., ihre Ideologie auszubreiten und andere zu verletzen und einzuschüchtern. M.E. lässt sich dies auch auf andere diskriminierende Ideologien und Communities übertragen, z.B. religiösen Fundamentalismus oder Incels.

Wenn das Weltbild geschlossen ist, wird die Person alle kritischen pädagogischen Einwürfe u.a. als Feindesideologie abwehren. Und wenn ein Mensch tief in entsprechende Lebenswelten eingebunden ist, besteht eine hohe Chance, dass er einerseits argumentativ und strategisch geschult vorgeht, und dass er andererseits diese Zugehörigkeit nicht ohne größere Auslöser gefährden wird. Zudem besteht bei entsprechend geschulten Menschen ein erhöhtes Risiko, sich als Pädagog*in von ihnen einwickeln zu lassen, weshalb in der Ausstiegsarbeit eine spezielle Qualifikation, ein sehr guter Personalschlüssel sowie viel Reflexionszeit vorgesehen werden (vgl. u.a. Köttig 2015). Die Arbeit mit Menschen mit geschlossenem Weltbild und hoher Einbindung in stark diskriminierende Lebenswelten ist also v.a. in der spezialisierten Tertiärprävention bzw. Ausstiegsarbeit möglich. In der allgemeinpädagogischen Arbeit in Gruppen geht es oft v.a. darum, ihren Einfluss und ihr Einschüchterungs- und Bedrohungspotenzial zu begrenzen, sei es durch klare Moderation, Raumtrennungen oder Entfernungen.

Menschen, die eher situativ etwas Diskriminierendes nachgeplappert haben, etwas Diskriminierendes sagen, weil es situativ funktional für sie ist (z.B. zur Provokation oder aus Wut) etc., sind möglicherweise auch in der Kurzzeitpädagogik erreichbar.

Menschen, die sich bereits im Hinwendungsprozess zuentsprechenden Weltbildernoder Lebenswelten befinden, sind wahrscheinlich eher in längeren pädagogischen Prozessen und/oder mit guter pädagogischer Beziehung erreichbar. In der Kurzzeitpädagogik können wir hier v.a Spuren und Samenkörner legen. Bei der Arbeit in bestehenden Gruppen (z.B. Schulklassen, Jugendzentren, Teams) können wir zusätzlich ihr Umfeld z.B. in Gegenargumenten stärken in der Hoffnung auf Multiplikation, u.a. durch Modell-Lernen anhand unserer Widersprüche bzw. Argumente und/oder durch Ermutigung zur Äußerung von Unwohlsein mit diskriminierendem Verhalten (zu Möglichkeiten und Risiken dabei vgl. u.a. Debus 2024).

Es gilt also eine Einschätzung der Erreichbarkeit der Person zu entwickeln, um nicht die knappe pädagogische Zeit auf wirkungslose oder sogar kontraproduktive Interventionen zu verwenden, indem wir z.B. organisiert diskriminierenden Menschen eine Bühne für die Ausbreitung ihrer Ideologien und die Einschüchterung und Verletzung anderer Adressat*innen bieten.

Manchmal geben bestimmte Symbole, Codes etc. einen deutlichen Hinweis auf problematische Lebenswelten. Oft gelingt eine Einschätzung nur im Kontext dialogischer Suchbewegungen, durch Fragen und Experimente und die Einordnung von Signalen des Gegenübers. Dies wird mit Übung mit einer bestimmten Zielgruppe und der Beschäftigung mit stark diskriminierenden Lebenswelten etwas leichter.

4.3.3 Prüffrage III: Raum- und Aufmerksamkeitsverteilung

Wenn wir eine Chance sehen, die Person zu erreichen und es keinen unmittelbaren Bedarf an Schutz für Betroffene gibt, stellt sich die Frage nach der Verteilung von Raum und Aufmerksamkeit. In den meisten Gruppen gibt es eine je unterschiedliche Mischung aus Menschen, die diskriminierungskritisch sind, Menschen, die mehr oder weniger entschlossen und geschult diskriminierende Positionen vertreten, und ambivalenten Menschen (vgl. ausführlicher zu Heterogenität in Gruppen und Abwägungen im Umgang damit Debus 2024).

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit und Zeit v.a. an die verteilen, die sich diskriminierend verhalten, sendet das, wie unter Prüffrage I besprochen, problematische Botschaften. In der Rechtsextremismusprävention wird dies u.a. unter den Stichworten Täter*innenzentrierung bzw. -fokus diskutiert. Dabei setze ich Menschen, die sich punktuell diskriminierend äußern, nicht mit extrem rechten Täter*innen gleich. Die Problematik der Botschaft stellt sich aber auch hier.

Grundsätzlich sollten wir also reflektieren, welche Bedarfe diskriminierungskritische Menschen, Betroffene und ambivalent verortete Menschen generell an unser Angebot und konkret in einer Situation haben, in der es zu einer Diskriminierung gekommen ist (für Anregungen dazu vgl. ebd.). Diese Bedarfe sollten wir mit dem Potenzial abwägen, das wir in einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit der diskriminierend handelnden Person sehen (im Gegensatz zur Alternative einer kurzen, klaren Grenzsetzung oder bei Eskalation auch einem Rauswurf etc.).

Manchmal finden wir hier Synergien: Immer wieder ist es für die genannten Gruppen hilfreich, Argumentationen zu hören, inhaltliche Anregungen zu bekommen, durch das Gespräch Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema zu erhalten oder sich selbst argumentativ erproben zu können. Oft lernen sie auch Möglichkeiten des Umgangs am Modell der Bildungsarbeiter*innen, also indem sie beobachten, wie diese mit der Situation umgehen. In Räumen, in denen die Adressat*innen dauerhaft zusammen sind, wie Schulklassen, Jugendzentren, Teams etc., haben viele Adressat*innen etwas davon, wenn wir Personen, die sich häufiger diskriminierend verhalten, tatsächlich erreichen und zum Überdenken ihres Verhaltens bewegen. Zudem kann es Atmosphärisch auch für die Adressat*innen, die unseren Positionen näherstehen, besser sein, wenn diese Positionen nicht mit harten Eskalationen wie Rauswürfen verbunden werden, falls diese von vielen in der Gruppe als ungerecht empfunden und die Kritik daran möglicherweise auf ähnlich positionierte Adressat*innen zurückfallen würden.

Andererseits kann aber auch die ausführlichere Auseinandersetzung mit einer diskriminierenden Äußerung knappe Zeit in Anspruch nehmen, in der wir Dinge tun könnten, die für betroffene, kritische oder ambivalente Adressat*innen hilfreicher wären. Es kann sein, dass die Adressat*innen die gleiche oder eine ähnliche Diskussion schon häufig gehört haben, dadurch nichts Neues lernen, sondern es v.a. nervig finden oder auch emotional belastend, dadurch länger mit diskriminierenden Wertungen konfrontiert zu sein. Es kann auch sein, dass sie es ungerecht finden, dass die (oftmals immer wieder gleiche) Person so viel Raum einnimmt und durch Aufmerksamkeit und ggf. auch wohlwollenden oder intensiveren persönlichen Kontakt für ihr diskriminierendes Verhalten belohnt wird. Und dass sie auch danach nichts davon haben, weil das Veränderungspotenzial im Rahmen unseres Angebots begrenzt ist.

Es gilt also in Gruppenangeboten (anders als in der Einzelarbeit) die Raum- und Aufmerksamkeitsverteilung und den möglichen Nutzen einer Intervention für verschiedene Teilgruppen abzuwägen. Manchmal gibt es keine wirklich gute Entscheidung, weil verschiedene legitime Bedarfe in Spannung zueinander stehen. Dann müssen wir das geringere Übel abwägen und auch, was in diesem Moment für uns persönlich machbar ist. Es lohnt sich aber, sich nicht einfach impulsiv in die eine oder andere Dynamik fallen zu lassen, sondern einen Moment durchzuatmen und eine Entscheidung zu treffen, deren Effekte wir beobachten, und bei Bedarf umzusteuern. Oft können wir vieles in seinen Effekten nicht voraussagen, sondern müssen uns schrittweise vortasten. Klassischerweise sind solche Situationen Momente höchster Aufmerksamkeit.

4.3.4 Interventions-Ansätze bei potenzieller Erreichbarkeit

Grundsätzlich sind Menschen besser erreichbar, wenn sie sich atmosphärisch wohl, gesehen und ernstgenommen fühlen und wenn sie Kritik als konstruktiv, einladend und nicht vernichtend empfinden (ausführlicher: Debus/Saadi 2024a, b, i.V./2025b). Es hilft, bereits vor der ersten Handlungssituation Framings für Kritik gegeben zu haben wie z.B. die Unterscheidung zwischen Intention und Effekt (vgl. Debus i.V./2025, Debus/Saadi 2024b) und die strukturelle Verortung diskriminierender ‚Fehler‘ in gesellschaftlichen Verhältnissen bei gleichzeitigem Appell an Verantwortungsübernahme (vgl. Debus/Saadi 2024b).

Je nach Person variiert es, wie stark oder vorsichtig Kritik formuliert werden muss, damit sie ankommt. Manche Menschen sind sehr hellhörig und zugewandten Formulierungen zugänglich, während sie bei stärkerer Konfrontation vor Schuldgefühlen und Angst, Fehler zu machen, nicht mehr handeln oder in Abwehr kippen. Andere brauchen einen konfrontativeren Zugang, um Kritik ernstzunehmen. Sie lassen freundliche Hinweise mühelos an sich abperlen. Bei der Abwägung zwischen Zugewandtheit und Konfrontation ist zudem in Gruppensituationen mitzudenken, wie stark wir die Belastung für andere Menschen in der Gruppe einschätzen – bei ihnen sollte ankommen, dass diskriminierenden Handlungen eine Grenze gesetzt wird.

In vielen Fällen würde ich unterscheiden, ob z.B. ein diskriminierender Begriff in einer Lebenswelt so normalisiert ist, dass die handelnde Person wahrscheinlich nicht wusste, dass er diskriminierend ist – in diesem Fall würde ich so zugewandt wie möglich vorgehen und z.B. die Annahme explizit machen, dass das ohne böse Absicht erfolgt ist. Wenn ich eher davon ausgehe, dass die Handlung bewusster erfolgt ist, z.B. zum Zweck der Provokation, reagiere ich meist entsprechend konfrontativer. In beiden Fällen mache ich es dann vom Gesprächsverlauf abhängig, ob ich im nächsten Schritt eher schärfer oder milder werde. Bei vermuteter bewusster Verletzungsabsicht reagiere ich am schärfsten, aber dann befinden wir uns oft nicht mehr im Bereich der situativen Erreichbarkeit der Person und müssen in jedem Fall den Schutz der betroffenen Person(en) priorisieren.

Wenn ich die diskriminierende Person erreichen will, ist relevant, ob die kritisierte Handlung eine (wichtige) Funktion für die Person hatte oder nicht. Bei einfacher Unwissenheit reicht möglicherweise Wissensvermittlung. Dies erfordert aber auf der Ebene der Beziehungsarbeit, dass die Person mich glaubwürdig findet oder dass ich auf für sie glaubwürdige Quellen bzw. Instanzen verweisen kann. Je stärker das angebotene Wissen im Kontrast zum Alltagswissen bzw. zu Aussagen wichtiger Bezugspersonen oder Medien steht, desto schwieriger wird dies.

Wenn ich eine subjektive Funktionalität des diskriminierenden Verhaltens vermute, dann gilt es, dialogisch und atmosphärisch eine Idee zu entwickeln, was diese Funktion sein könnte. In vielen Fällen werde ich darauf keine eindeutige Antwort finden, aber durch Fragen und die darauffolgenden Antworten, Eigenaussagen oder Kontextwissen kann ich einen Eindruck entwickeln, den ich im Dialog in Suchbewegungen verfolge und weiterentwickele.

Die Chance, eine Person zu erreichen, bei der diskriminierendes Denken oder Handeln eine wichtige Funktion erfüllt, steigt, wenn sie sich in ihrem Anliegen gesehen fühlt. Dafür versuche ich Anliegen zu identifizieren, die ich im positiven Sinne anknüpfungsfähig finde, die ich also als legitim und förderungswürdig verstehe (das geht über bloße Empathie hinaus, die manche von uns vielleicht auch für problematische Anliegen entwickeln können – die hilft uns ggf. für die Beziehungsarbeit, aber nicht für das weitere Vorgehen). Anregungen für solche Anliegen finden sich in Kapitel 5 sowie in den verschiedenen oben empfohlenen Texten zu themenspezifischen Vertiefungen.

Menschen, mit denen ich keine solchen anknüpfungsfähigen Anliegen finden kann bzw. mit denen für mich die Beziehungsebene, z.B. durch die Heftigkeit ihres diskriminierenden Handelns oder persönliche Vorbelastungen, so gestört ist, dass ich nicht bereit bin, solche Anliegen zu suchen, werde ich wahrscheinlich nicht erreichen. In den meisten Fällen werden wir in der Sackgasse stecken bleiben, in der die andere Person das Gefühl hat, sich gegen meine Intervention verteidigen zu müssen, außer sie ist höchst motiviert, trotzdem von mir zu lernen, und dafür in stärkerem Maße leidensbereit.

Wenn es also hier zu Blockaden bzgl. annehmbarer Lernangebote kommt, stellt sich die Frage, wie schnell und in welcher Weise wir ggf. die Situation beenden sollten (z.B. durch eine klare Grenzsetzung gegen Diskriminierung oder, ggf. etwas besser für die Beziehungsarbeit, indem wir auf der Meta-Ebene thematisieren, dass wir uns gerade festgefahren haben und den Eindruck haben, dass alle Argumente gehört sind, und wir uns jetzt nur noch im Kreis drehen. Ggf. können wir dann die Person einladen, zuzuhören ohne zuzustimmen, und markieren, dass alle zur Kenntnis genommen haben, dass sie eine andere Position vertritt). Wenn wir bzgl. der Beziehungsarbeit bzw. der Suche anknüpfungsfähiger Anliegen grundsätzliche Probleme mit (größeren Teilen unserer) Zielgruppe haben, sollten wir uns mit Optionen von Arbeitsteilung beschäftigen, entweder bei heterogenen Zielgruppen im Team oder bzgl. der Wahl unserer Zielgruppen.

Wenn ich hingegen anknüpfungsfähige Anliegen finde, läuft das häufig auf einen Balance-Akt hinaus: Einerseits ist es wichtig, bzgl. des diskriminierenden Gehalts bzw. der diskriminierenden Auswirkung der Aussage/Handlung eine Grenze zu ziehen und dies zu problematisieren. Andererseits hat meine Intervention besonders viel Veränderungspotential, wenn ich das anknüpfungsfähige Anliegen und die Person würdige und es fördernd aufgreife.

Wenn es z.B. um diskriminierende Deutungen eigener schlechter Erfahrungen, Probleme und um Ängste geht, sollte ich diese im ersten Schritt ernst nehmen. Im zweiten Schritt kann es gelingen, darauf aufbauend nicht-diskriminierende Deutungen dafür anzubieten.

Wichtig ist aber in den meisten Fällen, neben der Deutung auch Handlungsoptionen zur nicht-diskriminierenden Verfolgung des anknüpfungsfähigen Anliegens zu eröffnen bzw. erarbeiten. Nur wenige Menschen werden meiner Deutung gerne folgen, wenn sie ihnen mehr Ohnmacht verspricht als die diskriminierende Deutung.

Dies ist am einfachsten, wenn es z.B. um Handlungsunsicherheiten geht, kann aber auch u.a. bei Fragen von Interessenvertretung in institutionellen Settings funktionieren. Im Folgenden gebe ich kurze Beispiele aus meiner Praxis zu geschlechtlicher, amouröser und sexueller Vielfalt. Viele weitere Hinweise finden sich in Kapitel 5.

Beispiele für die Arbeit an anknüpfungsfähigen Anliegen

Ein Junge sagt in einem Seminar: „Ich habe nichts gegen Schwule, ich mag meinen schwulen Nachbarn, aber ich will nicht, dass meine kleine Schwester das sieht.“ Im Gespräch kamen wir irgendwann auf die Frage „Was passiert denn, wenn man so Leute sieht?“. Die Antwort war „Dann weiß man gar nicht, was man sagen oder machen soll!“. Wir konnten dann würdigen, dass er nicht will, dass seine Schwester unsicher wird, und sammeln, was man machen kann, wenn man unsicher ist. Der Junge hat ab da klar diskriminierungskritisch argumentiert.

Im gleichen Seminar haben Jungen mehrfach geäußert, dass sie etwas gegen Schwule haben, weil sie nicht von ihnen angemacht werden wollen. Auf Nachfrage gab es ein paar vereinzelte unangenehme Situationen, bei vielen Jungen aber auch keine. Wir haben dann in die gesamte Gruppe gefragt, wer schon mal unangenehme Anmachsituationen hatte (alle Mädchen neben wenigen Jungen) und gesammelt, was man dann machen kann. Als wir danach auf die Frage nach der Geschlechterkonstellation zurückkamen, und ob es einen Unterschied macht, ob ein Mann einen Jungen oder ein Mädchen unangenehm anmacht, und wie sie es fänden, wenn Mädchen alle Hetero-Männer abwerten würden wegen ihrer sehr viel häufigeren Anmach-Erfahrungen, konnten viele der Jungen sich drauf einlassen, dass das kein spezielles Problem schwuler Männer ist. Mit ihnen hatte vorher niemand über Handlungsoptionen in solchen Situationen jenseits schwulenfeindlicher Gewalt(androhungen) gesprochen.

Bei schwulen, lesbischen, bi- bzw. pansexuellen Coming-Outs in Freund*innenkreisen reagieren gleichgeschlechtliche Freund*innen häufig mit Sorge vor unangenehmen Anmachen oder asymmetrischem Begehren. Jenseits der Klarstellung, dass auch gleichgeschlechtlich begehrende Menschen nicht auf alle Menschen des gleichen Geschlechts stehen, hilft dann oft eine Beschäftigung mit der Frage, wie wir mit asymmetrischen Verliebtheiten oder sexuellen Interessen in Freund*innenschaften umgehen können. Dieses Thema überfordert viele Menschen in allen Geschlechterkonstellationen und mehr Handlungssicherheit dabei entlastet oft auch Situationen rund um Coming-Outs.

In vielen Diskriminierungsthemen kann es helfen, Handlungsoptionen bei spezifisch mit dem akuten Thema verbundener Unsicherheit, Überforderungsgefühlen oder Kritik zu besprechen, u.a. bei Alltagsproblemen pädagogischer Fachkräfte oder bei Themen rund um grenzachtenden Flirt bzw. Annäherung. Oft öffnet das die Atmosphäre und die Adressat*innen fühlen sich ernstgenommen und gestärkt, auch wenn sie vielleicht trotzdem ambivalente Gefühle zur Kritik behalten.

Wenn unsere Deutungsangebote allerdings mehr Ohnmacht ‚versprechen‘ als diskriminierende Deutungsangebote (z.B.: „Der Kapitalismus ist schuld.“ statt „Die Ausländer/die Feministinnen/die trans Menschen etc. sind schuld.“ Oder: „Das Schulsystem ist das Problem, ggf. ergänzt durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Sozialisationsbedingungen.“ statt „Es gibt Rezept a, b oder c, um mit der Zielgruppe xyz umzugehen.“/„Die Eltern sind schuld.“/„Die Schüler*innen sind faul und müssen nur mal richtig diszipliniert werden.“/„Es würde das Problem lösen, Smartphones und Computerspiele zu verbieten.“/„Menschen dieser Gruppe können halt xyz nicht lernen.“ etc.), haben wir nicht immer kurzfristig vielversprechende Handlungsangebote. Und auch mein langfristiger gesellschaftsverändernder Optimismus ist derzeit begrenzt, sodass ich diesbezüglich wenig Strahlkraft anzubieten habe.

Dennoch lohnt es sich, mögliche Handlungsschritte zu erarbeiten, auch wenn wir das große Ganze (noch) nicht lösen können. Oft hilft die Mischung, einerseits die eigenen Belastungen nicht v.a. als Versagen einzuordnen bzw. sich nicht gegen eine solche Einordnung verteidigen zu müssen, und andererseits dennoch erste Handlungsoptionen zu entwickeln, die zwar das Gesamtproblem nicht lösen, aber doch Verbesserungen bewirken. Manchmal läuft es auch auf eine persönliche Aussage hinaus wie z.B. „Ich verstehe Deine Unzufriedenheit. Ich finde das auch ungerecht/ein Problem und habe leider gerade auch keine Lösung. Trotzdem ist niemandem geholfen, sondern macht nur neue Probleme/das Problem noch größer, wenn wir unsere Wut oder Ohnmachtsgefühle gegen andere Gruppen richten, die auch darunter leiden. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir stattdessen schauen, wie wir uns gegenseitig stark machen können, um besser etwas an dem Problem zu ändern.“

In solchen Fällen ist es auch besonders hilfreich, zusätzlich an Umgangsweisen mit Frustration, Unsicherheit, Ohnmacht etc. zu arbeiten und Kraftquellen und Ressourcen im Umgang damit zu stärken (auch private Kraftquellen, nicht nur politische oder fachliche Ressourcen).

Außerdem hilft es, Möglichkeiten zugewandter, solidarischer, nicht-diskriminierender sowie grenzachtender Sozialität zu erweitern und ggf. Zugänge zu lebensweltlichen, institutionellen oder gesellschaftlichen Vernetzungen zu schaffen, die manche der auslösenden Probleme kollektiver zu verändern versuchen. Sich nicht alleine mit Belastungen und bei Veränderungsversuchen zu fühlen, kann viele Türen öffnen. Insbesondere bei materiellen, juristischen, institutionellen oder Gewaltproblemen ist i.d.R. praktische Unterstützung bei der Problemlösung besonders zentral.

Und überall dort, wo wir Einfluss haben – in Trägern, Institutionen, Verbänden, Berufsvereinigungen, Gewerkschaften oder als anerkannte Expert*innen – sollten wir diesen nutzen, um strukturelle Ursachen zu problematisieren, die zur Attraktivität diskriminierender Denk- und Handlungsweisen beitragen, und deren Veränderung einzufordern. Wir sollten uns deutlich gegen die Verantwortungsverschiebung wehren, all diese Probleme seien durch pädagogische Arbeit lösbar – erst recht unter den derzeitigen Arbeits- und Lernbedingungen.

5 Hypothesen zu subjektiven Funktionalitäten und erste Förderansätze

In diesem Kapitel verbinde ich eine Vertiefung von Hypothesen zu möglichen subjektiven Funktionalitäten diskriminierenden Denkens und Handelns mit Praxisableitungen. Dafür beschäftige ich mich mit Hypothesen auf den Ebenen Umgang mit selbstbezogenen Bedürfnissen und Wünschen (5.1), Umgang mit Beziehungen und Gruppendynamik (5.2), Umgang Institutionen (5.3) sowie Umgang mit gesellschaftlicher Ungleichheit, Struktur bzw. Krisen (5.4). Alle Ebenen können sowohl mit individuellen Wünschen und Bedürfnissen als auch mit der Suche nach Handlungsfähigkeit im Umgang mit gesellschaftlichen, institutionellen und lebensweltlich verursachten An- und Überforderungen sowie Problemen zu tun haben. Die Grafik gibt einen Überblick über die Hypothesen.

Über der Grafik steht: Subjektive Funktionalität fremd- & selbstschädigender Einstellungen & Handlungsweisen.  Darunter sind vier grüne Kästen um ein pinkes Oval angeordnet und mit diesem über pinke Linien verbunden.  Im pinken Oval steht: individuelles Handeln ist begründet => ist subjektiv funktional.  Im grünen Kasten oben steht: Umgang mit selbstbezogenen Bedürfnissen & Wünschen
z.B. Selbstwert, Orientierung, Klarheit/Komplexitätsreduktion, Sicherheit, Verletzlichkeits-/Unsicherheitsabwehr, Auseinandersetzung bzw. Verarbeitung, (Verwerfung)  Im grünen Kasten links steht: Umgang mit Beziehungen und Gruppendynamik
z.B. Bindung, Zuwendung, soziale Orientierung, Sex, Nähe, Anerkennung, Zugehörigkeit, Schutz  Im grünen Kasten rechts steht: Umgang mit Institutionen
z.B. Umgang mit: Ohnmacht, Abwertung & Erniedrigung; Autorität; Unsicherheit & Verletzlichkeit; Lern-/ Arbeitsbedingungen; Kontakt suchen & Vertrauenswürdigkeit bzw. Reaktionen testen  Im grünen Kasten unten steht: Umgang mit gesellschaftlicher Ungleichheit, Struktur bzw. Krisen
z.B. Handlungsfähigkeit; Umgang mit Diskriminierungswiderfahrnissen & Wünsche nach Solidarität, Anerkennung, Empowerment; Diskriminierungskonkurrenz; Umgang mit gesellschaftlichen Überforderungen; Absicherung von Privilegien  Darunter ist ein lila Kasten mit dem Text: => Prävention muss zusätzlich zu Empowerment, Schutz & Unterstützung von Alternativen an der subjektiven Funktionalität ansetzen und Alternativen anbieten.  Ganz unten steht: Grafik: Katharina Debus, letzte Aktualisierung 2025.

Ich lege in der Wahl meiner Beispiele einen Fokus auf Themen, die mir im Kontext von Jugend- und Pädagog*innenbildung öfter als relevant begegnet sind (für ergänzende Hypothesen rund um Sexismus und Antifeminismus vgl. Debus 2015a, zu Rechtsextremismus Debus 2014, Debus/Laumann 2014, Reimer 2011, 2013, zu Rassismus Kalpaka et al. 2017). Dabei habe ich in diesem Artikel weder den Anspruch noch die Möglichkeit, allgemeingültige Aussagen zu den konkreten subjektiven Gründen einer Hinwendung zu diskriminierenden Denk- und Handlungsangeboten sowie Lebenswelten zu tätigen. Diese sind individuell verschieden und können nur konkret erkundet werden. Die hier aufgeworfenen Thesen haben daher nicht den Anspruch, Wahrheiten vorzustellen, sie sollen vielmehr Fragen und Anregungen bieten, die bei Analyse und Konzeptentwicklung unterstützen können.

Ich ergänze die Hypothesen durch jeweils erste Ansätze für die Förderung von Alternativen und gebe eine grobe (immer konkret zu prüfende!) Einschätzung, was in verschiedenen Settings und was v.a. in der Langzeitpädagogik förderbar ist.

Die Hypothesen sind so formuliert, dass sie unabhängig voneinander gelesen werden können. Leser*innen können also gerne die Überschriften überfliegen und sich Hypothesen aussuchen, die ihnen für ihre Praxisfragen besonders vielversprechend erscheinen.

5.1 Umgang mit selbstbezogenen Wünschen und Bedürfnissen

5.1.1 Selbstwert

Viele Menschen lernen, dass sie nur etwas wert sind, wenn sie (bestimmte, teils auch widersprüchliche) Normen bzw. Anforderungen erfüllen und/oder besser als andere sind. Dies verursacht ohnehin (Leidens-)Druck, aber gerät besonders in die Krise, wenn die Erfüllung der Normen/Anforderungen nicht gelingt und/oder wenn diese und/oder die Hierarchisierung von Menschen von außen in Frage gestellt werden. Diskriminierung und die Erhöhung über andere bietet dann eine Möglichkeit der Selbstaufwertung. Sich gegen Diskriminierungs- und Normkritik einzusetzen, kann sich wie eine Verteidigung des Selbstwerts anfühlen.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • alternative Framings anbieten weg von Konkurrenzlogiken hin zu Ich-Stärke und Wertschätzung als Person
  • positive Erfahrungen von Anerkennung jenseits von Konkurrenzlogiken oder Normerfüllung[13] machen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Förderung von Ich-Stärke
  • Förderung sozialer Zusammenhänge, in denen der Wert einer Person nicht von Konkurrenz und Normerfüllung (s. Fußnote 13) abhängt

5.1.2 Orientierung, Klarheit, Komplexitätsreduktion, Handlungssicherheit, Unsicherheitsabwehr

Viele Menschen lernen nicht, sich in Komplexität zu orientieren, sondern erlernen eine klare Struktur von Ge- und Verboten und Normalitätsannahmen (vgl. auch Debus 2012b). Wenn diese infrage gestellt werden, fühlt sich dies desorientierend und möglicherweise haltlos an. Die Erweiterung und Weiterentwicklung von Lebensoptionen und Sprache, kann sich überfordernd anfühlen. Dies gilt auch für eine Veränderung der gewohnten Bevölkerungszusammensetzung bzw. mehr Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein marginalisierter Gruppen. Es greift privat, aber z.B. auch bei Fachkräften in pädagogischen oder sozialen Berufen.

Für Menschen, die nicht gelernt haben, konstruktiv mit Unsicherheit oder Ambiguität umzugehen oder sich in Komplexität zu orientieren, können diskriminierende Deutungen funktional im Umgang mit diesen Gefühlen sein.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Förderung von Ambiguitätstoleranz
  • Anregungen zum emanzipatorischen Umgang mit Komplexität – konkret anhand praktischer Situationen
  • Anerkennung und Entschämung von Unsicherheit, Vorleben und Würdigen von Kompetenzlosigkeitskompetenz ( Wünsche), wohlwollender Umgang
  • Austausch und Anregungen zu möglichen Umgangsweisen mit Unsicherheit
  • erfahrbar machen und ermutigen, was zu gewinnen ist, wenn wir die real vorhandene Komplexität würdigen und einen anerkennenden Umgang mit ihr entwickeln
  • akzeptierenden Umgang mit Komplexität an Werte der Adressat*innen rückkoppeln und im professionellen Kontext an Aufträge
  • Förderung von Kraftquellen im Umgang mit Überforderungs- und Scheiternsgefühlen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Förderung von Orientierungsfähigkeit in Komplexität
    • in Handlungssituationen
    • für das eigene private Leben (u.a.: Wie kann ich herausfinden, was ich will und was mir guttut? Wie kann ich mit Unsicherheit umgehen? Wie mit Interessenkonflikten?)
    • Anerkennung von Prozesshaftigkeit, dass wir Orientierungs- und Handlungsfähigkeit in Komplexität nicht einmal lernen und dann für immer können, sondern immer wieder neu weiterentwickeln können und müssen

5.1.3 Sicherheit und Verletzlichkeitsabwehr

Das Thema Sicherheit können wir, neben der obengenannten Handlungssicherheit, auf verschiedenen Ebenen verorten:

Teilweise geht es um Sicherheit vor Gewalt. Manchmal ist Menschen real Gewalt durch Angehörige diskriminierter Gruppen widerfahren, die sie verallgemeinern. Manchmal haben diskriminierende Diskurse ihnen Angst gemacht, ohne dass entsprechende Erfahrungen vorliegen. Besonders komplex sind Situationen, in denen Gewalterfahrungen psychisch auf Angehörige diskriminierter Gruppen verschoben werden (z.B. auf ‚Ausländer‘ oder trans Frauen), weil die Betroffenen sich der Gewalt in ihrer eigenen Lebenswelt gegenüber hilflos fühlen (z.B. Übergriffe durch Jungen und Männer in der eigenen Lebenswelt, ggf. im eigenen Nahumfeld), um für sich selbst und andere etwas Wehrhaftigkeit simulieren und die Situation psychisch ertragen zu können (ggf. gekoppelt mit Fragen von Zugehörigkeit, die wiederum Schutz verspricht, s.u.).

Manchmal geht es auch um Sicherheit vor emotionaler Verletzlichkeit. Wenn emotional-kognitiv zugelassen wird, dass Diskriminierung Verletzungen verursacht, kann dies dazu führen, sich an selbst erlebte Verletzungen zu erinnern, möglicherweise an Verletzungen in bis heute bedeutsamen Beziehungen. Und/oder es führt zur Erkenntnis, verletzend gehandelt zu haben, und dazu, ggf. auch Kritik zulassen zu müssen, die verletzlich machen kann. Beides kann bedrohlich sein.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • so weit im pädagogischen Rahmen möglich, Sicherheit vor Gewalt herstellen
  • Handlungsfähigkeit bzgl. Selbstschutz und Interventionen gegen Gewalt erweitern
  • konkrete Gewalterfahrungen anerkennen und ernstnehmen und nicht-diskriminierende Handlungsoptionen fördern
  • generalisierende Bilder über diskriminierte Menschengruppen kritisch bearbeiten
  • diskriminierende Diskurse und Angstmache kritisch bearbeiten
  • Diskriminierung als strukturell verursacht einbetten und Framings zu eigenen Verstrickungen jenseits von Schuldhaftigkeit anbieten (vgl. Debus/Saadi 2024b, i.V./2025b)
  • an konkreten Möglichkeiten des Umgangs mit Verletzungen und Feedback zu Verletzungen arbeiten (auf beiden Seiten)
  • Raum für widersprüchliche Gefühle bei Verletzungen in wichtigen Beziehungen
  • erfahrbar machen, dass Verantwortungsübernahme für verursachte Verletzungen (statt Gegenangriff bzw. Abwehr) weder Gesichtsverlust noch Ausgrenzung bedeuten muss

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Gewaltprävention in der Gruppe, Institution und im Sozialraum
  • Gewaltbetroffene begleiten
  • Arbeit an einem wohlwollenden Umgang, der von einer Gleichzeitigkeit von Diskriminierungs- und Grenzsensibilität, Verantwortungsübernahme und Fehlerfreundlichkeit geprägt ist
  • Arbeit an Ambiguitätstoleranz, u.a.: Menschen nah sein zu können, obwohl sie problematisch gehandelt haben, aber dabei auch klar Grenzen setzen zu können
  • Förderung von sozialen Beziehungen, die Kraft geben

5.1.4 Auseinandersetzung bzw. Verarbeitung

Viele Teilnehmende haben belastende Erfahrungen gemacht oder erleben in ihrem Umfeld eine Normalisierung von Diskriminierung und Gewalt. Viele haben Bedarf, sich mit diesen Erlebnissen und Aussagen auseinanderzusetzen oder sie zu verarbeiten. Nicht alle können diesen Bedarf offen äußern – je nach Sozialisation und Kontext drohen dafür möglicherweise Scham, Gesichtsverlust, Angriffe, Verlust von Bindungen, Verdächtigungen (z.B. bzgl. Queersein oder Opfererfahrungen) und weitere soziale Sanktionen. Manche sind auch (noch) nicht in der Lage, ihre eher diffusen Gefühle von Aufgewühltheit oder Unruhe bei bestimmten Themen in Fragen oder Selbstaussagen zu übersetzen. Eine (oft unbewusste) Variante, dennoch zu versuchen, Gelegenheit zur Auseinandersetzung und/oder Verarbeitung zu schaffen, sind provokative bzw. normalisierende Aussagen bzgl. Diskriminierung und/oder Gewalt.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • als Fachkraft in Erwägung ziehen, dass hinter einer problematischen Aussage ein entsprechender Bedarf stehen könnte
  • das Thema der problematischen Aussage ernsthaft aufgreifen, mögliche versteckte Fragen hinter der Aussage bearbeiten (ohne explizit einen Verdacht zu äußern, der zu sozialen Sanktionen führen könnte)
  • Raum für die Besprechung von Erfahrungen der Adressat*innen schaffen
  • sich jenseits der Plenumssituation ansprechbar machen bzw. Kontakt zu geeigneten Ansprechpersonen herstellen (ggf. auch über Linklisten oder Ähnliches)

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • eine Kultur fördern, in der schwierige Erfahrungen ansprechbar sind – gegen Scham, Gesichtsverlust, Angriffe etc. als Reaktion auf Verletzlichkeit bzw. bestimmte Sichtbarkeiten arbeiten
  • vertrauensvolle Beziehungsarbeit, in der Adressat*innen Schritt für Schritt erproben können, wie vertrauenswürdig wir sind
  • Strukturen der Ansprechbarkeit fördern und Schwellen zu professionellen Ansprechstellen abbauen, z.B. durch Einladung in die eigene Institution, Besuche vor Ort etc.

5.1.5 Verwerfung

Bei Verwerfung handelt es sich nicht im engeren Sinne um eine subjektive Funktionalität, aber um einen pädagogisch sehr relevanten möglichen Grund für diskriminierendes Verhalten, den Judith Butler aus psychoanalytischen Ansätzen aufgegriffen und auf Geschlecht angewandt und den wir weiterentwickelt haben (vertiefend: Butler 1995: 23f., 2001: 27ff. und 181f., Debus i.V.: Kap. 5.3, 2023a sowie Stuve/Debus 2012a). Sehr kurz gefasst: Wenn wir wichtige Wünsche, Sehnsüchte, Begehren oder Persönlichkeitsanteile früh verwerfen, weil die Sanktionen/Kosten zu hoch waren (z.B. als Junge verletzlich sein, rosa tragen oder Nähe zu Jungen/Männern suchen zu dürfen), vergessen wir diese Verluste oft. Wenn sie nicht betrauert werden, wirken sie aber unbewusst fort.

Einerseits können sie Melancholie, also eine diffuse Traurigkeit verursachen, ich würde auch von Depressionen sprechen. Zum anderen kann sich die unterdrückte Trauer aber auch in Verachtung, Wut oder Hass gegen die richten, die sich das ‚herausnehmen‘ was ich verwerfen musste – aus verworfen wird dann verwerflich –, insbesondere wenn sie mir ähnlich sind, also z.B. das gleiche Geschlecht haben. So können diskriminierende Vorbehalte auch phobische Form annehmen, etwa wenn eigentlich gleichstellungsorientierte männliche Pädagogen uns erzählen, sie hätten kognitiv nichts gegen Schwule und fänden traditionelle Männlichkeitsnormen auch problematisch, aber sie könnten es nicht aushalten, z.B. Nähe unter Männern oder weinende bzw. sich ‚weiblich‘ kleidende Jungen zu sehen. Hier lassen sich vielfältige weitere Beispiele finden, z.B. bzgl. der Abwertung von Durchsetzungsfähigkeit bei Mädchen, der Norm zur ständigen rationalen und erfolgsorientierten Selbstdisziplinierung in bürgerlich-weißen Kontexten oder der Norm eines immer funktionsfähigen Körpers und einer immer leistungsfähigen Psyche.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Prävention gegen Verwerfungsmechanismen, die mit Ungleichheitsverhältnissen zu tun haben, u.a.
    • Ermutigung und Gelegenheiten zur spielerischen Erweiterung des eigenen Spektrums, ohne dafür auf eine Identität oder Ähnliches festgeschrieben zu werden
    • Impulse zur Kritik an einengenden Normen
  • Deutungsangebote zur Einordnung möglicher anstrengender Gefühle (ohne dabei einzelnen Teilnehmenden etwas zuzuschreiben bzw. Vermutungen über sie zu äüßern, sondern eher allgemein diesen Mechanismus als immer wieder wirksam beschreiben und explizit machen, dass Menschen nur für sich herausfinden können, ob davon etwas auf sie zutrifft, und ggf. an eigenen Beispielen der Leitung veranschaulichen)
  • Raum für den Umgang mit Traurigkeit schaffen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Räume und Angebote schaffen, in denen oft verworfene Möglichkeiten spielerisch ausprobiert und Erfahrungen damit gemacht werden können
  • bei Bedarf vertrauensvolle Begleitung in biografiebezogenen Trauer- sowie aktuellen Veränderungsprozessen
  • Förderung von Ich-Stärke, Unterstützung bei Sanktionen wegen Normabweichungen

Wenn sich eine entsprechende Struktur erst wirklich verfestigt hat, erfordert das Aufweichen einen längeren und tiefer berührenden Prozess u.a. mit Trauerarbeit, der möglicherweise therapeutischer Begleitung bedarf. Keinesfalls sollten wir versuchen, Menschen pädagogisch in einen solchen Prozess zu drängen, der auch tiefe Krisen verursachen kann (z.B. sich mit Unrecht durch die eigenen Eltern auseinanderzusetzen etc.) (vgl. auch Debus/Saadi i.V./2025b).

Es kann aber ein guter Start sein, um konstruktiv mit entsprechenden Prozessen bei anderen umgehen zu können, uns mit unseren eigenen Verwerfungsgeschichten zu beschäftigen (die möglicherweise inhaltlich ganz anders gelagert sind – ein Pfad könnte die Frage sein, ob ich Aversionen gegen bestimmte Verhaltensweisen bei Menschen habe, die sich in dieser Intensität nicht nur daraus erklären, dass dieses Verhalten die Freiheit anderer stark einschränkt oder dass ich schlechte Erfahrungen damit gemacht habe).

5.2 Umgang mit Beziehungen und Gruppendynamik

5.2.1 Bindung und Zuwendung

In stärker diskriminierenden Lebenswelten kann es schwierig werden, sich Wünsche nach Bindung bzw. Zuwendung zu erfüllen, wenn eine Person auf Distanz zur diskriminierenden Alltagskultur geht. Dies kann zu sozialer Isolation und Konflikten bis hin zum Verlust von Bindungen führen. Besonders bedrohlich kann das für Kinder und Jugendliche sein, wenn Diskriminierungskritik die Bindung zu Eltern gefährdet. Aber auch Konflikte bspw. in einer Paarbeziehung, nahen Freund*innenschaft oder Ausgrenzung aus sozialen Umfeldern, Schulklassen oder Teams können bedrohlich sein.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Einordnungswissen auf Fachkraft-Seite, dass es bedrohlich sein kann, wichtige Bindungen zu gefährden – an solchen Stellen nicht zu viel Druck zu aktiven bindungsgefährdenden Aussagen machen
  • Samenkörner diskriminierungskritischer Sichtweisen legen, die vielleicht später aufgehen
  • Wissen über Unterstützungsangebote bei Ausgrenzung, Konflikten oder Mobbing
  • Möglichkeiten gegenseitiger Unterstützung und Vernetzung fördern
  • Ideen vermitteln, wie/wo andere soziale Umfelder gefunden/aufgebaut werden können

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Formen der Vergemeinschaftung fördern, die ohne Diskriminierung auskommen
  • Zugangsschwellen zu Angeboten im Sozialraum abbauen, die eine diskriminierungsreflektierte Kultur leben oder in denen sich mehr vielfaltsorientierte Menschen finden (z.B. Sport-, Kultur- oder Freizeitvereine/-angebote, queere oder linke Jugendzentren, berufliche Arbeitsgruppen etc.)
  • Ambiguitätstoleranz im Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven unter nahen Menschen fördern, z.B. dass ich einer Person nah sein und trotzdem manche ihrer Meinungen problematisch finden kann; Fähigkeit fördern, mit solchen Spannungen umzugehen, insbesondere auch in Abhängigkeitsbeziehungen (als Suchbewegung zur Förderung der Abwägungsfähigkeit und Erweiterung des Repertoires, dabei nicht dazu drängen, widersprechen zu müssen, wenn das große Kosten haben kann, insbesondere nicht, wenn es um abhängige Minderjährige und ihre Eltern geht oder wenn Gewalt droht)

5.2.2 Soziale Orientierung, Sex, Nähe

Wenn Menschen damit aufwachsen, dass Geschlecht und andere soziale Kategorien ihnen Orientierung bzgl. angemessenen Verhaltens gegenüber anderen Menschen geben, kann es verwirrend für sie sein, wenn wir entsprechende Normen infrage stellen. Dies betrifft nicht nur, aber auch romantische bzw. sexuelle Annäherungen. Ein vehementes Verteidigen orientierender Normen kann die Funktion haben, sich nicht (noch) hilfloser oder überforderter in ohnehin schon herausfordernden Situationen fühlen und/oder nicht auf Verhaltensweisen verzichten zu wollen, die als romantisch oder sexy empfunden werden.

Manche diskriminierenden Akteur*innen spielen in unterschiedlicher Form diese Wünsche an und verkaufen z.T. Unterstützungsangebote, die u.a. sexistisch durchzogen sind und/oder Grenzüberschreitungen propagieren (u.a. maskulinistische Influencer, Pick-Up-Artists, Tradwives etc.). Daneben können diskriminierende Deutungsangebote (u.a. im Kontext von InCel, Men Go Their Own Way, maskulinistischen Väterrechtlern, Antifeminismus etc.) eine Form der Verarbeitung von Frustrationen bzw. enttäuschten Wünschen und Hoffnungen bzgl. Beziehungen, Sex und/oder Familie sein bzw. ein Versuch, Männlichkeits- oder Weiblichkeitsanforderungen zu erfüllen und/oder Handlungsfähigkeit herzustellen (oder auch, aber das ist weniger sinnvoll pädagogisch anknüpfungsfähig, eine vermeintliche Legitimation für Aggressionen und Kontrollversuche zu erhalten) (vertiefend: Debus 2024, 2015a, i.V.: Kap. 7 und 8, 2012a, Stuve/Debus 2012b).

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Förderung anderer Möglichkeiten der sozialen Orientierung, z.B. Respekt, Grenzachtung, Einvernehmlichkeit (vertiefend Debus 2023b) etc.
  • Förderung respektvoller, nicht-diskriminierender Kontakt-Kompetenzen, allgemein und bzgl. Annäherung im Thema Flirt, Erotik, Liebe, Sex (ebd.)
  • Consent Education/Bildung zu intimer Einvernehmlichkeit (ebd. sowie Debus 2021)
  • Framing, dass auch traditionell geschlechtlich geprägte Interaktionsformen passend sein können, wenn alle Beteiligten sie schätzen, es also nicht um Verbote geht, sondern um Einvernehmlichkeit (vgl. zur Angst vor Verboten Debus 2012b)
  • Framings und Übungsangebote bzgl. nicht-diskriminierender Einordnungen von und Umgangsweisen mit Enttäuschungen, asymmetrischen Wünschen etc.
  • Unterstützungsangebote für den Umgang mit Aggressionen, Frustration etc.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • vieles des oben Beschriebenen: Ich-Stärke, Förderung respektvoller Vergemeinschaftung etc.
  • Entlastung von Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen und Stärkung individueller Orientierungsfähigkeit
  • Entlastung von Souveränitäts- und Attraktivitätsnormen, Normalisierung von Enttäuschungen, Förderung sozialer Netzwerke, die im nicht-diskriminierenden und grenzachtenden Umgang damit unterstützen 

5.2.3 Anerkennung, Zugehörigkeit und Schutz

In einigen Lebenswelten gibt es Anerkennung für besonders starkes, austeilendes Auftreten. In ebenfalls einigen Lebenswelten wird die Zugehörigkeit infrage gestellt, wenn eine Person bestimmte diskriminierende Sichtweisen nicht mitträgt (z.B. in vielen rechten, konservativen, konservativ bis fundamentalistisch religiösen Lebenswelten etc.). Dies kann auch Sanktionen bis hin zu psychischen, körperlichen oder sexuellen Bedrohungen und Gewalt nach sich ziehen. Ebenfalls versprechen manche diskriminierende Diskurse, dass diskriminierendes Verhalten notwendig oder zumindest legitim sei, um sich oder andere Menschen (insbesondere Kinder oder Frauen) vor Gewalt zu schützen. Und bestimmte Lebenswelten versprechen Schutz im Gegenzug zu Loyalität u.a. bzgl. diskriminierender bis gewaltvoller Umgangsweisen. Diskriminierende Verhaltensweisen können also das Ziel verfolgen, Anerkennung zu erlangen, Zugehörigkeit zu sichern sowie sich und/oder andere zu schützen.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Schutz für und Förderung von Menschen, die von diskriminierenden und Stärke-Normen abweichen
  • Zugang zu Unterstützung vor Ort und zu spezialisierten Beratungsstellen
  • Förderung von Zugängen zu nicht-diskriminierenden Lebenswelten, die Zugehörigkeit und idealerweise auch Unterstützung bzw. Schutz bieten können
  • Aufklärung bzgl. diskriminierender Diskurse und deren Beschützer(*innen)-Aufrufen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Förderung einer Sozialität, die vielfalts- und gleichstellungsorientiertes Verhalten wertschätzt und von Anforderungen von Stärke, Souveränität und Überlegenheit entlastet
  • Ausstiegshilfe aus diskriminierend-bedrohlichen Lebenswelten

5.3 Umgang mit Institutionen

Ich lege in diesem Unterkapitel meinen Fokus auf pädagogische Institutionen mit einem Fokus auf Schule, es sind aber auch Überträge auf andere Institutionen möglich.

5.3.1 Umgang mit Ohnmacht, Abwertung und Erniedrigung

In der Schule und z.T. auch in anderen Bildungsinstitutionen sowie manchen Institutionen der Sozialen Arbeit machen die Adressat*innen Erfahrungen mit Ohnmacht bzgl. der Nicht-Verhandelbarkeit der Bedingungen und oft auch Erfahrungen mit Abwertungen und Erniedrigung, teils in den Strukturen verankert (z.B. schlechte Noten), teils durch das Handeln der Fachkräfte, teils durch andere Adressat*innen oder Eltern (z.B. in Reaktion auf schlechte Noten). Auch Mitarbeiter*innen machen teilweise entsprechende Erfahrungen, insbesondere Ohnmachtserfahrungen aufgrund von Konflikten zwischen Aufträgen, eigenen Werten und schlechten Rahmenbedingungen, und teilweise auch Abwertungs- und Erniedrigungserfahrungen im Umgang mit den verschiedenen Statusgruppen (Leitung, Kolleg*innen, Adressat*innen, Eltern, übergeordnete Behörden, teils auch Medien).

Eine Variante des Umgangs mit solchen Erfahrungen kann es sein, die daraus entstehenden Gefühle (Wut, Aggressionen etc.) gegen andere zu richten, u.a. in diskriminierender Form. Im Agieren gegen andere Personen mit niedrigerem Status (weniger Beliebtheit, gesellschaftliche oder lebensweltliche Diskriminierung oder Marginalisierung, weniger institutionelle Macht etc.) werden möglicherweise Stärke- bzw. Wirksamkeits-, evtl. auch Überlegenheitserfahrungen gemacht, die als Gegengewicht zu Ohnmacht, Abwertung und Erniedrigung gesucht werden. Eine Beschuldigung anderer, insbesondere statusniedrigerer Personen und Gruppen und/oder im Kontext von Verschwörungserzählungen kann auch dazu dienen, die Kränkung aus diesen Erfahrungen abzuwerten und sich selbst nicht als Versager*in zu fühlen.

Ein anderer Umgang liegt in selbstschädigendem Verhalten, z.B. Selbstabwertung oder erlernter Hilflosigkeit. Es widerspricht den Anliegen emanzipatorischer Pädagogik, wenn Adressat*innen dazu angeleitet werden, nach außen sichtbar problematische Umgangsweisen in selbstschädigende Unterwerfung umzuleiten. Stattdessen sollten emanzipatorische Alternativen gefördert werden.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • strukturelle Einordnung der Probleme zur Entlastung von persönlichen Versagensgefühlen
  • Erarbeitung persönlicher Handlungsoptionen
  • Erarbeitung kollektiverer Optionen, institutionelle Veränderungen zu bewegen
  • Anerkennung von Ungerechtigkeiten, Interventionen dagegen wo möglich
  • transparenter Austausch über Dilemmata, z.B. als Lehrkraft ein gutes Lernklima fördern und die einzelnen wertschätzen zu wollen, aber Noten verteilen und mit zu großen Klassen umgehen zu müssen
  • wo möglich Wertschätzung und Respekt im Umgang zeigen und fördern – auch unabhängig von Leistungen und Anpassungsbereitschaft
  • Arbeit an Möglichkeiten des weder fremd- noch selbstschädigenden Umgangs mit Kränkungen, Verletzungen und Ungerechtigkeiten

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Förderung einer wertschätzenden Institutionskultur
  • langfristiges Engagement für strukturelle Veränderungen, u.a. in Gewerkschaften etc.
  • Elternarbeit
  • Förderung von Partizipation

5.3.2 Umgang mit und Verhandlungen von Autorität

Manchmal geht es bei diskriminierenden Äußerungen nicht primär um die Inhalte. Wenn Adressat*innen wissen oder vermuten, dass sie uns damit provozieren können und/oder es nutzen können, unsere Autorität bzw. unsere Expertise anzugreifen, kann es auch um Verhandlungen von Autorität, Hierarchie, Anerkennung bzw. relativer Expertise gehen. Besonders stark tritt dies in unfreiwilligen Kontexten auf; bei Teilnehmenden, die häufig Fremdbestimmung oder Missbrauch von Autorität erfahren, sowie bei Teilnehmenden, die selbst stark unter Druck stehen, Expertise zu zeigen, oder die es gewohnt sind, selbst Autorität zu sein. (Und selbstverständlich steht dieses Mittel nur Adressat*innen zur Verfügung, für die diskriminierende Äußerungen zumindest kein größeres inhaltliches Problem darstellen. Dennoch kann es für die Intervention einen Unterschied machen, worin die Motivation liegt.)

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • pädagogische Beziehungsarbeit und Förderung einer guten Lernatmosphäre sowie Reflexion der eigenen Haltung zu den Adressat*innen (vgl. Debus/Saadi i.V./2025a)
  • ggf. Ansprechen auf der Meta-Ebene mit Frage oder Hypothese rund um Autoritätsverhandlungen, Ver-/Misstrauen oder sich nicht gesehen fühlen
  • Bemühen um klare Struktur auch bzgl. Autorität, Motivation und Relevanz bzgl. unserer Angebote
  • insbesondere bei Fachkräften unsere Expertise gut erkennbar werden lassen sowie unseren Respekt vor ihrer Expertise (z.B. für ihren institutionellen Kontext)
  • Entlastung von Souveränitätsanforderungen und dem Druck, sich als kompetent zu beweisen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Stärkung von Partizipation
  • Entlastung von Souveränitätsanforderungen (vgl. Debus/Saadi 2024b)
  • Förderung einer Atmosphäre, in der Autorität von pädagogischer Seite möglichst wenig missbraucht wird und daher möglichst vertrauenswürdig ist

5.3.3 Umgang mit Unsicherheit und Verletzlichkeit

In institutionellen Kontexten kann es aus unterschiedlichen Gründen besonders wichtig sein, als souverän, kompetent, cool oder stark wahrgenommen zu werden. Wenn unsere Inhalte bzw. unser Vorgehen Unsicherheit und Verletzlichkeit auslösen, kann es subjektiv funktional sein, diese Gefühle abzuwehren. Eine Variante dafür ist diskriminierendes, austeilendes Verhalten bzw. die Verteidigung des bisherigen diskriminierenden Verhaltens.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Framings für den Umgang mit Unsicherheit und Verletzlichkeit (vgl. u.a. Debus/Saadi 2024a, b, i.V./2025c, b)
  • Stärkung der Handlungsfähigkeit im Umgang mit den auslösenden Fragestellungen sowie mit anstrengenden Gefühlen wie Unsicherheit oder Verletzlichkeit
  • Transparenz und Freiwilligkeit der Mitwirkung bzgl. Verletzlichkeit auslösender Themen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Förderung einer Atmosphäre und Institutionenkultur, in der Unsicherheit und Verletzlichkeit nicht beschämt, sondern als normal anerkannt werden und in der achtsam mit diesen Gefühlen umgegangen wird

5.3.4 Arbeits- und Lernbedingungen

Wenn Lern- und Arbeitsbedingungen regelmäßig Überforderung, Hilflosigkeit, Selbstzweifel etc. auslösen, kann es einerseits funktional sein, diese Gefühle in Aggressionen gegen Menschen zu lenken, die sich weniger gut wehren können. Zudem kann es sein, dass dann jede Anforderung, die noch dazu kommt, diese Gefühle verschärft und das Risiko von Scheiternsgefühlen erhöht. Es kann dann funktional sein, möglichst viele Anforderungen abzuwehren, darunter auch diskriminierungskritische Anforderungen. Außerdem kann es funktional sein, die Schuld für eigene Scheiternserfahrungen und schlechte Gefühle bei anderen zu suchen, insbesondere bei gleichgestellten oder statusniedrigeren Menschen(gruppen).

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • strukturelle Einbettung und nicht-diskriminierende Framings zur Einordnung der entsprechenden Gefühle und der Scheiternserfahrungen, dafür ggf. auch Wissensvermittlung
  • Pfade der Handlungsfähigkeit gegen die Bedingungen legen
  • Förderung zugehörigkeits- und statusgruppenübergreifender solidarischer Vernetzung und gemeinsamen Handelns
  • Förderung nicht-diskriminierender Umgangsweisen mit diesen Gefühlen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • an strukturellen Veränderungen arbeiten

5.3.5 Kontakt suchen und Vertrauenswürdigkeit bzw. Reaktionen testen

Bei Provokationen gegen Pädagog*innen, u.a. mit diskriminierenden Inhalten, kann es auch um die Suche nach Kontakt durch Reibung gehen. Wenn Teilnehmende Begleitung oder Schutz bzgl. eines Themas suchen, setzen sie manchmal Testballons ein, um einerseits die Haltung der Fachkraft herauszufinden und andererseits zu erproben, ob diese das Standing hat, sie im Zweifel auch zu schützen. Dafür werden paradoxerweise manchmal auch Provokationen genutzt oder die Art Aussage oder Verhalten, vor denen die Adressat*innen sich bei Aufdeckung von Unrecht oder Gewalt bzw. bei einem Coming-Out Schutz erhoffen.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • wissen, dass hinter Provokationen auch Fragen und Bedarfe stecken können
  • Situationen und Strukturen für Ansprechbarkeit schaffen und bekannt machen
  • Beziehungsangebote und Beziehungsarbeit, in der Menschen auch ohne störendes oder provozierendes Verhalten Aufmerksamkeit bekommen und ihre Themen einbringen können

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • breit aufgestellte Gewalt- und Diskriminierungsprävention

5.4 Umgang mit gesellschaftlicher Ungleichheit, Struktur bzw. Krisen

5.4.1 Handlungsfähigkeit

Ganz allgemein kann es bei diskriminierenden Denk- und Handlungsweisen um ein Gefühl von Handlungsfähigkeit gegenüber gesellschaftlichen Problemen, Strukturen oder Krisen gehen. Diese gegen marginalisierte oder weniger mächtige Gruppen zu wenden, kann mehr Wirksamkeitshoffnungen wecken als eine Analyse der realen Ursachen. Oft liegen auch strukturkritische Analysen nicht auf der Straße und Menschen finden in ihren persönlichen, beruflichen und/oder medialen Kontexten v.a. diskriminierende Erklärungen für ihre Probleme.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • Förderung nicht-diskriminierender und diskriminierungskritischer Deutungsangebote
  • erste Pfade für nicht-diskriminierende und diskriminierungskritische Handlungsfähigkeit mit dem Problem legen

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Stärkung von Partizipation und sozialen Bewegungen, die sich diskriminierungskritisch mit dem jeweiligen Problem beschäftigen

5.4.2 Umgang mit Diskriminierungswiderfahrnissen; Wünsche nach Solidarität, Anerkennung und Empowerment bzgl. eigener Erfahrungen; Diskriminierungskonkurrenz

Wir lernen in dieser Gesellschaft, in Konkurrenzlogiken zu denken. Viele Menschen erleben Anerkennungsdefizite sowohl bzgl. eigener Diskriminierungserfahrungen als auch bzgl. anderer schmerzhafter Erfahrungen und Schwierigkeiten. Sie wünschen sich, gesehen und anerkannt zu werden sowie Solidarität (vertiefend zu solchen Wünschen von Jungen bzw. Männern in Geschlechterdiskursen: Debus 2022).

Viele Menschen mit Diskriminierungserfahrungen erhalten zu wenige Empowerment-Angebote und Solidarität und erleben zu wenig Einsatz gegen die sie betreffende Diskriminierung. Daraus können Gefühle von Konkurrenz entstehen, wenn andere diskriminierte Gruppen bzw. Engagierte sich gegen andere Diskriminierungsformen einsetzen und einen gleichstellungsorientierteren Umgang einfordern, bzw. auch, wenn ähnlich Betroffene andere Antidiskriminierungs- bzw. Empowermentstrategien verfolgen. Besonders stark kann dies in Diskriminierungskonkurrenz kippen, wenn Menschen, die selbst viel Diskriminierung erfahren, hierzu keine Anerkennung und Angebote erhalten, dann aber als Privilegierte in einem anderen Themenfeld zu Veränderung und Solidarität aufgefordert werden. Ebenfalls besonders schwierig ist es, wenn benötigte Ressourcen gedeckelt werden und es zu faktischen Konkurrenzen kommt.

Bei Veränderungsbemühungen gegen gesellschaftliche Strukturen, die Diskriminierung, Anerkennungsdefizite oder Ohnmachtsgefühle verursachen, drohen Scheiternserfahrungen oder Sanktionen. Gerade in neoliberalen oder rechten Hegemonien, wie wir sie derzeit erleben, kann es dann oder grundsätzlich mehr Selbstwirksamkeit versprechen, die eigenen Gefühle, nicht gesehen zu werden, sowie Irritationen (z.B. auch bzgl. theoretischer Widersprüche in verschiedenen feministischen oder rassismuskritischen Ansätzen), Ressourcenknappheit etc. in Feindseligkeit gegen (andere) Betroffene(ngruppen) sowie (andere) soziale Bewegungen zu lenken, die eigentlich Bündnispartner*innen sein könnten.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • bei thematischen Schwerpunktsetzungen andere Ungleichheitsverhältnisse und schmerzhafte Erfahrungen zumindest kurz würdigen – idealerweise bei in einem Kontext besonders relevanten Themen noch bevor es zu Spannungen kommt; wenn irgend möglich zumindest situativ im Falle von Spannungen
  • Intersektionalitäten im fokussierten Thema berücksichtigen
  • auf der Meta-Ebene Konkurrenzlogiken ansprechen
  • bei Bedarf und wenn möglich Raum für drängende andere Themen schaffen (Achtung bzgl. des Risikos, dass das auf Kosten von Bedarfen im Schwerpunktthema geht oder für Ausweichbewegungen instrumentalisiert werden kann)
  • an solidarischen Umgangsweisen über Themen hinweg arbeiten
  • konstruktive Umgangsweisen mit gedeckelten Ressourcen suchen
  • Polarisierungsdynamiken unter Menschen mit eigentlich ähnlichen Werten bzw. Anliegen erkennen und präventiv sowie intervenierend adressieren (vgl. Debus/Saadi 2024a), u.a. auch die Logik kritisch thematisieren, bei gesamtgesellschaftlichen Ohnmachtserfahrungen Feindseligkeit gegen mögliche Verbündete zu richten, und deren schädigende Konsequenzen
  • Förderung der Bündnisfähigkeit, auch im Umgang mit Differenzen (vgl. Debus/Saadi 2025c)

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • möglichst Angebote bzgl. aller anwesender Diskriminierungserfahrungen und dringenden Bedarfe organisieren bzw. anregen (nicht unbedingt zeitgleich im gleichen Angebot)
  • sich für die Erweiterung von Ressourcen einsetzen, deren Deckelung Konkurrenzen befördert
  • solidarische Vernetzungen ausbauen, die Perspektivwechsel und voneinander lernen befördern

5.4.3 Umgang mit gesellschaftlichen Überforderungen

Neben vielen der bereits genannten Überforderungen können z.B. auch Qualifikationsüberforderungen durch technische oder sprachliche Weiterentwicklungen, Flexibilitätsanforderungen, aber auch die bereits genannten Geschlechter- oder Leistungsanforderungen zu Überforderungsgefühlen führen. Ebenso überfordern gesellschaftliche Krisen. Eine Möglichkeit, im Umgang damit Handlungsfähigkeit zu fantasieren, sind Verschwörungserzählungen oder die Idealisierung der ‚guten alten Zeiten‘.

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen in Kurz- & Langzeitpädagogik:

  • nicht-diskriminierende und gesellschaftskritische Deutungsangebote zur Einordnung der Überforderungen
  • Förderung von Handlungsfähigkeit im Umgang damit
  • Entlastung von den Anforderungen, soweit es geht (also zumindest bzgl. der symbolischen Wertigkeit; materiell soweit möglich durch die Förderung des Zugangs zu Ressourcen)

Pädagogische Ansätze zur Förderung von Alternativen v.a. in der Langzeitpädagogik:

  • Stärkung von Ressourcen der Interessenvertretung und Organisierung

In der Grafik nenne ich zuletzt auch die Absicherung von Privilegien. Ich nenne dies, weil es mir wichtig ist, sichtbar zu machen, dass nicht immer (nur oder v.a.) emanzipatorisch anknüpfungsfähige Anliegen hinter diskriminierendem Verhalten stehen, sondern manchmal auch einfach nur die Absicherung von Privilegien. Ich halte das in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und den klassischen Zielgruppen Sozialer Arbeit für im Schnitt selten, da in all diesen Lebensrealitäten Unrechtserfahrungen bzw. Belastungen Alltag sind. Auch unter Pädagog*innen habe ich selten den Eindruck, dass dies die einzige oder zentralste Handlungsmotivation ist. Dennoch will ich diesen Aspekt nicht unterschlagen, auch nicht für die Fälle, in denen (deutlich häufiger) die Absicherung von Privilegien zumindest ein Teil-Anliegen ist.

Wenn dieses Anliegen überwiegen sollte, stellen sich eher Fragen nach Raumbegrenzung als nach Erreichbarkeit. Wenn es ein Teil-Anliegen ist, konzentriere ich mich i.d.R. einerseits in meinem Versuch, die Person zu erreichen, auf anknüpfbarere Anliegen, nehme dieses Element aber in den konfrontativeren Teil meiner Intervention mit auf.

5.5 Abschließende Einordnung

All diese Hypothesen sind mögliche Startpunkte. Sie müssen in den spezifischen Handlungssituationen mit dem Kontextwissen sowie im Dialog mit den Adressat*innen abgeglichen werden. Sie sind in der Regel am hilfreichsten, wenn wir sie als offene Fragen berücksichtigen. Wenn sie zu statischen Zuschreibungen gerinnen, können sie hingegen der Beziehungsarbeit im Weg stehen.

Abschließend verweise ich nochmal darauf, dass eine Förderung entlang subjektiver Funktionalitäten immer ausbalanciert sein sollte mit Empowerment, Unterstützung und Schutz von Betroffenen und Engagierten. Nicht immer sind die Gegebenheiten dazu geeignet, alle Ebenen gleichermaßen zu berücksichtigen und dann sollten bewusst Prioritäten gesetzt werden. Ein Fokus auf subjektive Funktionalitäten läuft das Risiko, sich zu sehr in die Perspektive diskriminierender Menschen hineinzuversetzen und dabei andere wichtige Bedarfe zu vernachlässigen – es bedarf in meiner Erfahrung regelmäßiger Übung, immer wieder die Perspektive zu wechseln und nicht in einer Perspektive hängenzubleiben. Darüber hinaus sollten wir selbstverständlich Wege finden, unsere persönlichen Grenzen zu achten und unsere Arbeitsfelder entsprechend zu gestalten.

Wenn die Balance aber gelingt, kann dies zu verblüffend wirksamen Weiterentwicklungen bei Adressat*innen führen, die ich früher vorschnell aufgegeben hätte und die das Gelernte dann bestenfalls in Kontexte multiplizieren, die wir mit diskriminierungskritischer Bildung klassisch nicht erreichen würden.

Literatur

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Debus, Katharina (2012a): Und die Mädchen? Modernisierungen von Weiblichkeitsanforderungen. In: Dissens/Debus, Katharina/Könnecke, Bernard/Schwerma, Klaus/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Berlin: Dissens. S. 103–124. https://jus.dissens.de/material/abschlusspublikation [Zugriff: 23.10.2025].

Debus, Katharina (2012b): Vom Gefühl, das eigene Geschlecht verboten zu bekommen. Häufige Missverständnisse in der Erwachsenenbildung zu Geschlecht. In: Dissens/Debus, Katharina/Könnecke, Bernard/Schwerma, Klaus/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Berlin: Dissens. S. 175–188. https://jus.dissens.de/material/abschlusspublikation [Zugriff: 23.10.2025].

Debus, Katharina (2014): Rechtsextremismus als Suche nach Handlungsfähigkeit? Subjektive Funktionalität von Verhalten als Ausgangspunkt von Rechtsextremismusprävention. In: Debus, Katharina/Laumann, Vivien (Hg.): Rechtsextremismus, Prävention und Geschlecht. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. S. 61–99. https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-005817 [Zugriff: 23.10.2025].

Debus, Katharina (2015a): Du Mädchen! Funktionalität von Sexismus, Post- und Antifeminismus als Ausgangspunkt pädagogischen Handelns. In: Hechler, Andreas/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Opladen: Barbara Budrich. S. 79–99. https://shop.budrich.de/wp-content/uploads/2015/10/9783847408413.pdf [Zugriff: 23.10.2025].

Debus, Katharina (2015b): Von Neoliberalismus und vom Zaubern. Plädoyer für utopische Momente. In: Hechler, Andreas/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Opladen: Barbara Budrich. S. 383–385. https://shop.budrich.de/wp-content/uploads/2015/10/9783847408413.pdf [letzter Zugriff: 23.10.2025].

Debus, Katharina (2021): BDSM und Sexualpädagogik. In: Laimbauer, Viktoria/Scheibelhofer, Paul (Hg.): Sexualität und Pädagogik. Teil 1: Konzepte und Debatten. Innsbruck: StudienVerlag. S. 98–109. https://schulheft.at/hefte/hefte-173-184/heft-182 [Zugriff: 23.10.2025].

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Debus, Katharina (2023a): Die Verlustspur des Subjekts – gegen Einschränkungen der Entfaltung von Kindern. In: KiTa aktuell spezial. 4.2023, Kita queer-inklusiv gestalten. S. 10–13. Bestellung Einzelheft nur telefonisch: +49 (2233) 3760-7050.

Debus, Katharina (2023b): Konsens für alle: Prinzipien und Prakiken – nicht nur für BDSMer*innen. In: Debus, Katharina (Hg.): Artikelserie: Sex, BDSM und Vanilla zwischen Konsens, Lustgewinn und Auseinandersetzung mit Gesellschaft. Berlin: Katharina Debus. S. https://katharina-debus.de/material/texte/konsens-bdsm-vanilla-gesellschaft/#3-konsens-fuer-alle-prinzipien-und-praktiken-%e2%80%93-nicht-nur-fuer-bdsmerinnen [Zugriff: 23.10.2025].

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Debus, Katharina/Laumann, Vivien (2014): Von der Suche nach männlicher Souveränität und natürlicher Weiblichkeit. Geschlechterreflektierte Rechtsextremismusprävention unter den Vorzeichen von Geschlechteranforderungen und subjektiver Funktionalität. In: Debus, Katharina/Laumann, Vivien (Hg.): Rechtsextremismus, Prävention und Geschlecht. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. S. 153–177. https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-005817 [Zugriff: 23.10.2025].

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Debus, Katharina/Saadi, Iven (i.V./2025b): Umgang mit Emotionen und Krisenhaftigkeit im Lernen zu Diskriminierung. In: Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien.

Debus, Katharina/Saadi, Iven (i.V./2025c): Verletzlichkeit und Diskriminierung – Safer und Braver Spaces in der Bildungsarbeit. In: Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien.

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Haug, Frigga (2003): Lernverhältnisse: Selbstbewegungen und Selbstblockierungen. Hamburg: Argument.

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Holzkamp, Klaus (1987): Grundkonzepte der Kritischen Psychologie. In: A. G. Gewerkschaftliche Schulung und Lehrerfortbildung (Hg.): Wi(e)der die Anpassung. Soltau: Schulze-Soltau. S. 13–19. http://www.kritische-psychologie.de/publikationen/projekt-digitalisierung/einfuhrungstexte-interviews-vortragsmitschriften-einzelthemen/holzkamp-1985-grundkonzepte-der-kritischen-psychologie/ [Zugriff: 23.10.2025].

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Horkheimer, Max (1988 [1937]): Traditionelle und kritische Theorie. In: Horkheimer, Max (Hg.): Gesammelte Schriften, Band 4: Schriften 1936–1941. Frankfurt/M.: Fischer. S. 162–216.

Kailouli, Nadia/Kracher, Veronika (o.J.): Folge 28: „Die rotten sich in Internetforen zusammen und schreiben: ‚Haha, eine Frau wurde vergewaltigt, freut euch mit mir.‘“ Wie gefährlich sind Incels, Veronika Kracher? Im Rahmen des Podcasts ein bis zwei. Der Podcast über sexuelle Gewalt. https://beauftragte-missbrauch.de/mediathek/podcast-einbiszwei/folge-28-mit-veronika-kracher [Zugriff: 23.10.2025].

Kalpaka, Annita (2003): Stolpersteine und Edelsteine in der interkulturellen und antirassistischen Bildungsarbeit. In: Stender, Wolfram/Rohde, Georg/Weber, Thomas (Hg.): Interkulturelle und antirassistische Bildungsarbeit. Projekterfahrungen und theoretische Beiträge. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel. S. 56–79.

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Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (i.V./2025): Prävention von Diskriminierung und Gewalt durch Geschlechterreflektierte Pädagogik. In: Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien.

Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla/Saadi, Iven/Debus, Katharina (2022): Folge #12–14: Lernen zu Diskriminierung I-III. Im Rahmen des Podcasts Alles für Alle – Im Dissens mit den herrschenden Geschlechterverhältnissen vom 28.03.2022, 28.04.2022, 06.07.2022. https://dissens.de/podcast [Zugriff: 15.08.2022].

Köttig, Michaela (2015): Zur Gestaltung Sozialer Arbeit gegen Rechtsextremismus mit Fokus auf Mädchen und Frauen – eine persönliche Bestandsaufnahme. In: Hechler, Andreas/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Rechts. Opladen: Barbara Budrich. S. 108–134. www.oapen.org/search?identifier=1004470 [Zugriff: 02.04.2023].

Kracher, Veronika (2020): Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults. Mainz: Ventil.

Markard, Morus (2009): Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument.

Osterkamp, Ute (2000): Gesellschaftliche Widersprüche und Rassismus. In: Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument. S. 55–73.

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Reimer, Katrin (2011): Kritische politische Bildung gegen Rechtsextremismus und die Bedeutung unterschiedlicher Konzepte zu Rassismus und Diversity. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/6652 [Zugriff: 23.10.2025].

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Sonnenmoser, Marion (2003): Psychoanalyse und Persönlichkeitsstörungen: Bestätigung durch die Neurowissenschaft. In: Deutsches Ärzteblatt. 9/2003, S. 415–417. https://www.aerzteblatt.de/archiv/38446/Psychoanalyse-und-Persoenlichkeitsstoerungen-Bestaetigung-durch-Neurowissenschaft [Zugriff: 23.10.2025].

Stuve, Olaf/Debus, Katharina (2012a): Geschlechtertheoretische Anregungen für eine geschlechterreflektierte Pädagogik mit Jungen. In: Dissens/Debus, Katharina/Könnecke, Bernard/Schwerma, Klaus/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Berlin: Dissens S. 27–42. https://jus.dissens.de/material/abschlusspublikation [Zugriff: 23.10.2025].

Stuve, Olaf/Debus, Katharina (2012b): Männlichkeitsanforderungen. Impulse kritischer Männlichkeitstheorie für eine geschlechterreflektierende Pädagogik mit Jungen. In: Dissens/Debus, Katharina/Könnecke, Bernard/Schwerma, Klaus/Stuve, Olaf (Hg.): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Berlin: Dissens. S. 43–60. https://jus.dissens.de/material/abschlusspublikation [Zugriff: 23.10.2025].

VdK/MBR (Hg.) (2016): Jugendarbeit gegen Rechtsextremismus. Integrierte Handlungsstrategien zur Rechtsextremismus-Prävention und -Intervention bei Jugendlichen. Berlin: VdK/MBR. https://mbr-berlin.de/en/publikationen/jugendarbeit-gegen-rechtsextremismus-2016/ [Zugriff: 23.10.2025].

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Wittenzellner, Ulla/Dahlmüller, Till/Köhler, Lino/Klemm, Sarah (i.V./2025): Maskulinistische Influencer. In: Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien.


[1] Dieser Text ist die Langfassung von Debus, Katharina (i.V./2025): Warum verhalten sich Menschen diskriminierend? Subjektive Funktionalität von Diskriminierung und Stärkung von Handlungsfähigkeit als Ansätze für Prävention und Intervention. In: Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien. Die Broschüre ist im Rahmen des Projekts Schnittstelle Geschlecht – Geschlechterreflektierte Bildung als Prävention von Sexismus, Vielfaltsfeindlichkeit und Rechtsextremismus von Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. entstanden.

[2] Dieser Artikel geht aus einer langjährigen Beschäftigung mit Haltung, Konzeption und Beziehungsarbeit in der Begleitung diskriminierungskritischer Lernprozesse hervor, die zentral durch Annita Kalpaka und Andreas Foitzik angeregt wurde, u.a. im Rahmen der Weiterbildungsreihe zur Trainerin und Beraterin für pädagogisches Handeln in der Einwanderungsgesellschaft sowie einer internen Team-Fortbildung mit Annita Kalpaka. Eingeflossen sind viele Gespräche mit Kolleg*innen u.a. im Rahmen von Dissens-Projekten und freiberuflichen Kooperationen, insbesondere mit Olaf Stuve, Vivien Laumann, Iven Saadi und Andreas Hechler. Viele Teilnehmende haben durch ihre Feedbacks, Fragen und Kommentare die Weiterentwicklung des Konzepts angeregt. Ich danke allen Beteiligten für Inspiration und solidarische Kritik! Für frühere Arbeiten mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten vgl. Debus 2014, 2015a, 2024, Debus/Laumann 2014.

[3] Um ständige Aufzählungen zu vermeiden, fasse ich unter dem Begriff Pädagogik Bildungsangebote mit anderen Angeboten der Pädagogik bzw. Sozialen Arbeit zusammen, in denen es um Anregungen zur Entwicklung bei den Adressat*innen geht.

[4] Ich verwende im Weiteren den Begriff Lebenswelten als Überbegriff, der auch online und offline Communities umfasst.

[5] Mit nicht-diskriminierend beschreibe ich Möglichkeiten, den eigenen Alltag zu leben, die eigenen Interessen zu verfolgen oder z.B. in der Pädagogik ein Thema zu bearbeiten, ohne dabei auf diskriminierende Denk- und Handlungsweisen zurückzugreifen. Dadurch ist an vielen Stellen viel gewonnen, insbesondere bzgl. Prävention und Empowerment, und die Förderung entsprechender Fähigkeiten und Räume wird m.E. oft vernachlässigt. Diskriminierungskritisch geht einen Schritt weiter und bezieht sich auf aktive Interventionen gegen diskriminierende Situationen, Strukturen, Denk- und Verhaltensweisen. M.E. sollte die diskriminierungskritische Pädagogik beides fördern.

[6] Ausführlicher habe ich die Ansätze der Kritischen Psychologie, auf die ich mich beziehe, besprochen in Debus 2014, u.a. auch mit Beispielen aus Kritisch-psychologischen Forschungen zu Rassismus.

[7] Vgl. zur Einführung Markard 2009. Der großgeschriebene Begriff ‚Kritische Psychologie‘ bezeichnet den im Folgenden angerissenen Ansatz, nicht jeden psychologischen Ansatz, der in irgendeiner Weise kritisch ist.

[8] Zitat aus Horkheimer 1988 [1937]: 180f., Hervorhebungen im Original.

[9] Hier liegt oft ein Fokus auf der Funktionalität selbstverletzender Handlungen, vgl. exemplarisch – wobei ich der Entgegenstellung der Professionen oder Ansätze nicht folge – Sonnenmoser 2003 sowie Schneider/Sachsse 1998.

[10] Einige theoretische Grundannahmen habe ich weiter ausformuliert und mit Beispielen versehen in Debus 2014.

[11] Alle genannten Verhältnisse finde ich für heutige Auseinandersetzungen für Deutschland relevant. Historisch und für andere geografische Kontexte muss jeweils geprüft und spezifiziert werden, welche Verhältnisse in welcher Form und mit welcher Bezeichnung relevant waren/sind.

[12] Ich relativiere hier, anders als die vorgestellten Kritisch-psychologischen Ansätze, dass Denk- und Verhaltensweisen subjektiv funktional sein können. Aus meiner Sicht können sie ggf. aber auch ohne stärkere Funktion erlernt sein, wenn sie in der Lebenswelt eines Menschen so normalisiert oder alternativlos sind, dass er sie ohne größeres eigenes Anliegen übernommen hat. Die Frage nach möglichen subjektiven Funktionalitäten beginnt dann m.E. beispielsweise, wenn solche Denk- und Verhaltensweisen bei einer Begegnung mit anderen Optionen verteidigt werden. Darüber hinaus können m.E. auch weitere Aspekte in die Frage hineinspielen, welche Denk- und Verhaltensweisen eine Person entwickelt. Dies schließt sich m.E. nicht mit dem Ansatz subjektiver Funktionalität aus, sondern sollte ergänzend zusammengedacht und je konkret analysiert werden.

[13] Wenn ich an verschiedenen Stellen von Normkritik bzw. Entlastung von Normen etc. spreche, geht es um Kritik an Normen, wie Menschen sein, fühlen oder leben sollen, um etwas wert, ‚richtig‘, ‚normal‘ etc. zu sein. Es gibt auch Normen, die ich unerlässlich für ein gutes Zusammenleben finde, z.B. Respekt vor der Selbstbestimmung anderer Menschen, Einvernehmlichkeit bei Intimität, Grenzachtung, Diskriminierungs- und Gewaltfreiheit (Selbstverteidigung bzw. Gewalt zum Schutz anderer Menschen vor Gewalt ausgenommen, hier stellen sich komplexere Fragen) etc.


Dieser Text ist die Langfassung des gleichnamigen Artikels in Klemm, Sarah/Wittenzellner, Ulla (Hg.): Geschlechterreflektierte Pädagogik gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung. https://www.dissens.de/materialien. Die Broschüre wurde im Rahmen des Projekts Schnittstelle Geschlecht – Geschlechterreflektierte Bildung als Prävention von Sexismus, Vielfaltsfeindlichkeit und Rechtsextremismus von Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. erarbeitet. Das Projekt wird gefördert im Rahmen des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung. 

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Fördermittelgeber*innen dar. Für inhaltliche Aussagen trägt die Autorin die Verantwortung.

Dies ist das Logo des Projekts "Geschlechterreflektierte Bildung als Prävention von Sexismus, Vielfaltsfeindlichkeit und Rechtsextremismus."  Das Logo ist grün.  Oben links steht der Projekttitel in kleiner weißer Schrift.  Rechts in der Mitte bis unten sind drei lila Rechtecke, die so ähnlich wie lange, flache Bauklötze aussehen, und rosa umrandet sind. Darin steht (auf die drei Bauklötze verteilt):
Schnitt
Stelle
Geschlecht
Dies ist das Logo des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.  Links oben steht: Gefördert durch.
Darunter sind drei Kästen. Im linken Kasten steht rot in Großbuchstaben BERLIN. Im rechten Kasten ist der Berliner Bär abgebildet. Im Kasten drunter steht: Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung.  Rechts oben steht: im Rahmen von.
Im Kasten drunter (der direkt an die Kästen links angrenzt) ist oben ein Logo, in dem sich links oben ein blauer, rechts oben ein rosaner, links unten ein gelber und rechts unten ein grüner Kreis überschneiden. Rechts daneben steht Demokratie. Vielfalt. Respekt.
Darunter steht in kleinerer Schrift der Name des Landesprogramms.